„Mit Mäusen und Schaben vor der Klinik“

■ Die Gynäkologin Sandra Pertini * (52) aus Latina bei Rom wird von militanten „Lebensschützern“ als „Mörderin“ diffamiert, Patientinnen werden unter Druck gesetzt

taz: Sie gelten als eine der mutigsten Abtreibungshelferinnen Italiens; trotzdem bestehen Sie darauf, daß wir Ihren Namen verfremden. Paßt das zusammen?

Sandra Pertini: Wenn mein wirklicher Name da steht, werden wieder all diese aggressiven Gruppen sogenannter „Lebensschützer“ aufmerksam, und die stürzen sich dann weniger auf mich als auf die Frauen, die zu mir kommen. Der extreme soziale Druck hat schon manche Frauen zu Selbstmordversuchen getrieben.

Wie gehen die vor?

Unterschiedlich. Einmal haben sie sich Telefonnummern von meinen Patientinnen besorgt und diese mit anonymen Anrufen genervt. Ein anderes Mal haben sie sich vor der Eingangstür zur gynäkologischen Abteilung aufgebaut und alle Patientinnen vor mir als „Mörderin“ gewarnt – auch wenn die Frauen gar nichts mit Abtreibung im Sinn hatten. Dann wieder gab es Anzeigen wegen angeblich mangelnder Hygiene im Krankenhaus, und einmal haben wir einen Mann am Eingang erwischt, der eine Schachtel mit Mäusen und Schaben mitgebracht hatte und diese wohl in meiner Abteilung laufen lassen wollte.

Warum kommt jetzt wieder eine Kampagne gegen die Abtreibung?

Es ist eine besondere Anomalie: Im Gegensatz zu anderen Ländern ist in Italien die Zahl der Abtreibungen nach der Legalisierung erheblich zurückgegangen – um mehr als zwanzig Prozent. Dieses Zeichen, daß gleichzeitig mit der Liberalisierung auch Aufklärung und damit Bewußtwerdung geschieht, paßt den sogenannten „Lebensschützern“ überhaupt nicht in den Kram. Und besonders Gynäkologinnen wie ich, die mehr Frauen überzeugen, ihre Kinder auszutragen als sie abzutreiben, sind ein rotes Tuch für sie.

In den letzten zwei Jahren steigt die Zahl der Abtreibungen wieder. Haben Sie eine Erklärung?

Es könnte sich um normale Schwankungen handeln, denn das Ganze bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Vielleicht hält auch die Verunsicherung durch die langanhaltende Wirtschaftskrise viele Frauen davon ab, Kinder in die Welt zu setzen. Es könnte aber auch sein, daß unsere Statistiken inzwischen etwas genauer funktionieren und daß vorher eine Anzahl von Abtreibungen einfach nicht gemeldet wurde; vielleicht sterben auch die illegalen Engelmacherinnen langsam aus. Auf jeden Fall sehe ich keine alarmierende Entwicklung.

Mit welchen Argumenten begegnen Sie den Lebensschützern, wenn's zur lauten Auseinandersetzung kommt?

Ich habe hier in meiner Tasche stets ein Bündel Zeitungsausschnitte mit Berichten über Neugeborene, die von ihren Müttern gleich nach der Geburt ausgesetzt wurden, viele davon sterben; oder von Tötungen Neugeborener durch Familienangehörige; von verwahrlosten Kindern; und von Frauen, die wegen der Schwangerschaft Selbstmord versucht haben. Und wenn die „Lebensschützer“ mir dann aggressiv Farbbeutel nachwerfen, habe ich meist schon gewonnen: mit solchen Leuten will keiner mehr was zu tun haben.

Halten Sie alle Argumente der Abtreibungsgegner für nichtig?

Nein, im Gegenteil. Ich selbst habe nie abgetrieben. Ich habe große Achtung vorm Leben, aber ich möchte Leben eben nicht nur als Vegetieren definieren, sondern als etwas, das dem einzelnen auch Freude bringt und nicht nur Leid. Interview: Werner Raith, Rom

* Name von der Redaktion geändert