■ Kaschmir: Nur einer von vielen ignorierten Konflikten
: Im Alptraum-Tal

Salman Rushdie hat Kaschmir einmal als „Koschmar“ (französisch cauchemar, deutsch: Alptraum) bezeichnet. Zu einem Alptraum ist das ehemalige Touristenparadies jetzt für die Geiseln geworden, nachdem ihre Entführer von der Separatistengruppe Al Faran eine von ihnen umgebracht haben. Erstes Opfer war ein Norweger, und dasselbe Los binnen 48 Stunden wurde den anderen vier angedroht. Auch der 26jährige Erfurter Dirk Hasert kann jetzt schon tot sein.

Weniger von schlechten Träumen geplagt als die Entführten und ihre Angehörigen wurden offenbar die in die Entführung verwickelten Regierungen. Die Verantwortlichen im Bonner Auswärtigen Amt bildeten erst jetzt einen Krisenstab. Indien weigert sich – wie andere Regierungen in ähnlichen Fällen –, mit „Terroristen“ zu verhandeln und ließ am Wochenende durchblicken, wenn es sich bei den Geiseln nicht um Europäer und US-Amerikaner handeln würde, hätte man schon lange das Versteck der Guerillas gestürmt. Auch die Geiselnehmer bewegen sich in dieser zynischen Logik: Mit dem Norweger töteten sie denjenigen, dessen Regierung sie am wenigsten für fähig hielten, Druck auf Delhi auszuüben, damit ihre Forderungen doch noch erfüllt werden.

Die Geiselkrise ist nur Ausdruck des Kaschmir-Dilemmas insgesamt, das sich schon seit der Teilung Indiens 1947 hinschleppt. Indien hatte versäumt, den Konflikt zu entschärfen, als das noch möglich war, und mit äußerster Repression gegen die Zivilbevölkerung sogar weiter zugespitzt. Das, was gemeinhin als Weltöffentlichkeit bezeichnet wird, übt sich darin, das Problem zu ignorieren – seit den fünfziger Jahren schon, seit einigen nie erfüllten UNO-Resolutionen. Während des Kalten Krieges war „Rücksichtnahme“ auf die Bündnispartner Indien (Ost) und Pakistan (West) die Ursache, jetzt sind es Interessen am boomenden Markt Südasien.

Hinter dem Vorhang dieser offenen Ignoranz können Pakistan mit Waffen und „Freiwilligen“ für die Separatisten sowie Indien mit catch and kill (so amnesty international) und leeren Wahlversprechungen den Alptraum im Kaschmirtal noch einmal 48 Jahre am Leben erhalten. Das garantiert, daß auf diesem Substrat staatlicher Gewalt Gangster wie die von Al Faran immer wieder nachwachsen. Thomas Ruttig

Freier Journalist, lebt in Berlin