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■ Joschka Fischer ist nicht als einzigem aufgefallen, daß die Außenpolitik der Bündnisgrünen neu bestimmt werden mußWaffen für Butros Ghali

Eines der letzten Klischees über die Grünen betrifft die Außenpolitik. Danach ist die Partei im wesentlichen vernünftig geworden, allein in der Außenpolitik triumphiert noch der linke Ungeist, und die Bündnisgrünen werden deshalb in einem Zustand der Regierungsunfähigkeit gehalten. Getreu diesem Klischee hat der große Vorsitzende Joschka F. die Gefahr erkannt und mutig begonnen, dagegen einzuschreiten. Zuletzt wird dabei tatsächlich eine Änderung grüner Positionen herauskommen, und alle fühlen sich bestätigt, vor allem Joschka.

Dabei ist der Bosnien-Rundbrief des Fraktionsvorsitzenden sicher nicht nur parteiinternem Kalkül geschuldet. Die Frage Fischers an seine Partei – „Läuft die deutsche Linke nicht massiv Gefahr, ihre moralische Seele zu verlieren, wenn sie sich, egal mit welchen argumentativen Ausflüchten, vor diesem neuen Faschismus und seiner Politik der Gewalt wegduckt?“ – ist nicht rhetorisch gemeint, sondern treibt ihn schon länger um. Aber eben nicht nur ihn. Die Erbitterung, mit der Volmer auf Fischer reagiert, entspringt ja nicht einer grundsätzlich anderen Einschätzung der Situation in Bosnien, sondern ist eine Reaktion auf den unterschwelligen Vorwurf, die Interventionsgegner ließe das menschliche Leid einfach kalt. Das schmerzt, zumal es auch nicht stimmt. Die linke Seele ist auch nicht damit zu retten, daß man großzügig zustimmt, daß andere die Schutzzonen militärisch verteidigen sollen. Wenn man schon von Spanien 1936 redet, da hat Ludger Volmer recht, muß man andere Konsequenzen ziehen.

In den dreißiger Jahren hat die internationale Linke Brigaden zur Unterstützung der Spanischen Republik aufgestellt – soll sie heute nach der Bundeswehr rufen? Es ist ja nicht so, als gäbe es keine internationale Solidarität. Statt mit der Maschinenpistole loszugehen, werden Hilfskonvois organisiert, Kliniken ausgerüstet und Filmfestivals in Sarajevo ausgerichtet. Das ist gut so. Sicher könnte mehr getan werden, als es bislang der Fall ist – aber wie schützt man die Schutzzonen? Wenn Habermas, Giordano und nicht zuletzt jetzt Joschka Fischer über ihren Schatten springen und für einen internationalen Militäreinsatz plädieren, schaffen sie sich zuerst einmal eine persönliche Entlastung, die für Bosnien folgenlos bleibt. Sie brauchen sich selbst nicht mehr den Vorwurf zu machen, um des Prinzips willen das Leid der Verfolgten ignoriert zu haben – am Leiden in Bosnien ändert das nichts, weil die Nato nun mal nicht auf deutsche Intellektuelle hört. Was sich möglicherweise ändert, ist das Verhältnis der Nachkriegsdeutschen zum Militär und zum Krieg.

Noch vor wenigen Monaten hat Fischer dringend davor gewarnt, die Diskussion über eine mögliche Hilfe für Bosnien mit der Debatte um die Perspektive der Bundeswehr zu vermengen. Das war schon damals, mit einer grundsätzlich anti-interventionistischen Position, schwer durchzuhalten. Wenn der Fraktionschef der drittstärksten deutschen Partei jedoch die Nato zur Intervention aufruft, wird er genau wie Kinkel und Rühe gefragt werden, wo die Bundeswehr bleibt. Warum also nicht endlich die teure Armee einmal für einen guten Zweck einsetzen, wenn man sie denn schon hat? Die Antwort ist von brutaler Schlichtheit, und alle kennen sie: Die Bundeswehr, die Nato insgesamt, kämpft nicht für die Einhaltung der Menschenrechte, sondern für die Durchsetzung deutscher respektive westlicher Interessen. Ist das nationale deutsche Interesse an der Sicherung von UN-Schutzzonen groß genug, um die Kosten an Leben und Geld aufzubringen, die ein solcher kriegerischer Einsatz erfordert? Oder anders gefragt: Ist die Existenz Bosniens als eigenständiger multiethnischer Staat eine Ultima ratio der deutschen Politik? Noch die jüngste US-amerikanische Initiative, die von der Bundesregierung laut schweigend unterstützt wird, beweist das Gegenteil. Wer also schützt die Schutzzonen?

Wahrscheinlich gibt es zur Zeit in Bosnien nicht die Lösung, und schon gar nicht gibt es die Lösung, die nur durch die westeuropäischen Pazifisten verhindert wird. Wenn es überhaupt ein durchgängiges Motiv für das widersprüchliche Verhalten der auswärtigen Mächte im Balkankrieg gibt, dann ist es die Renationalisierung der westlichen Politik. Eines der verheerendsten Ergebnisse dieses Krieges ist es, daß ausgerechnet die UNO dafür herhalten muß. „Der UNO“, so befürchtet Fischer zu Recht, „droht eine historische Niederlage.“ Warum hat denn die UNO schon in Somalia und erst recht in Bosnien versagt? Sie war unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges erfolgreich als Vermittlungsinstanz, um die Altlasten der zweigeteilten Welt im Süden zu entsorgen. Für die neuen Konflikte, die erst durch die Aufhebung des Blockzwangs möglich geworden sind, ist sie nicht gerüstet. Statt dessen wird die UNO von den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates zur Durchsetzung nationaler Interessenpolitik mißbraucht.

Vor diesem Hintergrund muß und wird eine Neubestimmung grüner Außenpolitik stattfinden. Es ist ja nicht so, daß Joschka Fischer als erstem und einzigem aufgefallen ist, daß das bisherige Parteiprogramm der veränderten Weltlage nicht mehr standhält. Es geht heute nicht mehr um die prinzipielle, grundsätzliche Frage nach dem Einsatz von Militär überhaupt, sondern darum, wer und warum, mit welchem Ziel und mit welchen Interessen Militär einsetzt. Genauso wie es in Bosnien nicht mehr um die prinzipielle Frage einer Intervention geht, sondern darum, wie ein Rahmen geschaffen wird, der eine Intervention tatsächlich auf die Durchsetzung der UN-Charta verpflichtet.

Seit Herbst letzten Jahres zirkulieren im außenpolitischen Arbeitskreis der Grünen Papiere, in denen eine deutsche Beteiligung an UN-Blauhelmeinsätzen diskutiert wird. Zwar plädieren die meisten Grünen nach wie vor für eine strikte Beschränkung von Blauhelmeinsätzen auf klassische Peacekeeping-Missionen, doch schon jetzt ist sehr fraglich, ob die Partei dabei stehenbleiben kann. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß eine Stärkung der UNO und ihrer Regionalorganisationen, also auch der OSZE, zu einem der wichtigsten Ziele linker Außenpolitik wird. Ein Teil der SPD, darunter ihr Bundesgeschäftsführer Verheugen, hat für den Vorschlag des UN-Generalsekretärs plädiert, der UNO feste Truppenkontingente zur Verfügung zu stellen, die der Generalsekretär dann auch in eigener Verantwortung schnell einsetzen kann. Eine Eingreiftruppe in diesem Sinne wäre eine Alternative zu nationalstaatlicher Interessenpolitik und vielleicht in der Lage gewesen, UNO-Schutzzonen auch wirklich zu schützen. Die Frage an die Grünen ist, ob die Partei bereit wäre, Out-of-area-Einsätze eines dafür ausgebildeten Teils der Bundeswehr unter UNO-Kommando zu unterstützen.

Die größte Gefahr für Europa, die vom ehemaligen Jugoslawien ausgeht, ist nicht die Ausbreitung des Krieges, sondern das Auseinanderbrechen der supranationalen Organisationen. Aus dieser Erkenntnis politische Konsequenzen zu ziehen, ist das Wichtigste, was angesichts der bosnischen Tragödie zu tun ist.

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