Oberbürgermeister wird Oberschnüffler

■ In Kassel verschaffte sich das Stadtoberhaupt den direkten Zugriff auf sensible Daten der Sozialverwaltung. Datenschützer und Oppositionsparteien sind empört

Kassel (taz) – Seit Petra Roth (CDU) in Frankfurt überraschend die OB-Urwahl gegen den SPD- Kandidaten Andreas von Schoeler gewonnen hat, will die hessische Union die Kompetenzen für OberbürgermeisterInnen, BürgermeisterInnen und LandrätInnen über eine Reform der hessischen Gemeindeordnung (HGO) drastisch ausgeweitet sehen. Sie will mehr Macht für die Spitzen der Kommunalverwaltungen – und weniger Einfluß für die Parlamente in Städten und Gemeinden.

Dem Oberbürgermeister von Kassel, Georg Lewandowski (CDU), ist die von seinen Parteifreunden losgetretene politische Debatte um die Reform der HGO allerdings völlig Wurst. Denn Lewandowski hat seine Kompetenzen bereits selbstherrlich erweitert: Der nach dem Kommunalwahldesaster der SPD in der nordhessischen Metropole 1993 an die Macht gekommene Ex-Landtagsabgeordnete hat sich in der Sommerpause den direkten Zugriff auf die geschützen Daten der rund 23.000 in Kassel lebenden SozialhilfeempfängerInnen gesichert. Über die Benutzeridentifikation und ein Paßwort kann sich der OB die Daten jetzt direkt aus dem Computer des kommunalen Gebietsrechenzentrums auf den Bildschirm seines PCs holen. Schließlich, so Lewandowki, müsse sich ein Stadtoberhaupt jederzeit über den Umfang der Ausgaben für die SozialhilfeempfängerInnen informieren können.

Doch dazu, so die Kritiker von Lewandowski aus den Reihen von SPD und Bündnisgrünen, brauche der OB nicht die persönlichen Daten der EmpfängerInnen kommunaler Gelder. Für eine politische Bewertung, so etwa die SPD-Unterbezirksvorsitzende Christa Rudolph, reichten anonymisierte Sammeldaten völlig aus.

Der Vorsitzende der Rathausfraktion der Bündnisgrünen in Kassel, Volker Schäfer, monierte, daß das Büro des OB seit dem Vorstoß von Lewandowski zur „Schnüffelstation“ umfunktioniert worden sei. Der Oberbürgermeister, so Schäfer zur taz, trete das Selbstbestimmungsrecht der BürgerInnen mit Füßen. Tatsächlich kann sich Lewandowski, wenn er will, einen beliebigen, namentlich im System abgespeicherten Sozialhilfeempfänger „herauspicken“ und dessen Daten aus dem Computer des Sozialamtes mit denen aus dem Computer, etwa der KFZ- Zulassungsstelle, abgleichen oder sich per Tastendruck über die Vermögensverhältnisse der Familienmitglieder des Betroffenen informieren. Alles hochsensible Daten, die bislang nur den zur Verschwiegenheit verpflichteten MitarbeiterInnen der diversen Ämter zur Verfügung standen.

Der selbstherrliche Datenzugriff hat inzwischen auch den hessischen Datenschutzbeauftragten elektrisiert. Die laufenden Verwaltungsangelegenheiten, heißt es in einem Schreiben des Datenschützers, seien „grundsätzlich von den zuständigen Beigeordneten selbständig zu erledigen“. Und weiter: „Es ist nicht gerechtfertigt, wenn der Oberbürgermeister (...) personenbezogene Daten unbegrenzt sich zu verschaffen imstande ist.“

Doch an Lewandowski ist die Kritik des Datenschutzbeauftragten offenbar vorbeigegangen. Aus einem Brief des Verwaltungsamtes an den OB geht hervor, daß Lewandowski die für den umfassenden Datenzugriff notwendige Hard- und Software bereits zugestellt worden ist. Klaus-Peter Klingelschmitt