■ Die Deutschen haben es satt, daß der Staat und die mit ihm liierten Kirchen in ihren Glaubensdingen herumpfuschen. Sie wechseln in alternative Gottestempel - wo man keine Kirchensteuer blecht. Damit steht Deutschland sowieso allein.
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Die Deutschen haben es satt, daß der Staat und die mit ihm liierten Kirchen in ihren Glaubensdingen herumpfuschen.

Sie wechseln in alternative Gottestempel – wo man keine Kirchensteuer blecht. Damit steht Deutschland sowieso allein.

Wer nicht zahlen will, muß gottlos bleiben

Der Berliner Pfarrer Martin Lotz hat die Zeichen der Zeit erkannt. Als ein Schäfchen seiner Gemeinde mit Kirchenaustritt drohte, weil die Kirchensteuer von monatlich 33 Mark das Haushaltsbudget der gläubigen Frau überforderte, verfiel Lotz auf eine intelligente Lösung: Besserverdienende sollten künftig für ärmere Mitglieder zahlen, gewissermaßen Patenschaften übernehmen. Ob der Berliner Vorschlag auch in größerem Rahmen funktioniert?

Tatsache aber ist: Die Menschen haben es satt, wie der Staat und die mit ihm liierten Kirchen in ihren intimsten Glaubensangelegenheiten herumpfuschen.

Der jüngste Streit um das Kruzifix-Urteil markiert eine Wende. Noch länger aber schwelt der Unmut über die Kirchensteuer, die hierzulande einfach vom Staat eingezogen wird. „Das ist einmalig auf der Welt, wie die Kirche hier ein staatliches Monopol nutzt“, klagt Tom Schmidt, Vorstandsmitglied der kirchenkritischen Organisation „Kirche von unten“. „Wer Steuern bezahlt, gehört zu einer Glaubensgemeinschaft, auch wenn er gar nicht mehr in einen Gottesdienst geht. Und umgekehrt.“ Schmidt ist für die Umwandlung der Kirchensteuer in Spenden, ganz das, was auch der „Verein zur Umwidmung der Kirchensteuer“ im nordrhein-westfälischen Haltern fordert.

Kirchensteuer – das ist einmalig auf der Welt

Einige hundert Gläubige haben sich dort zusammengeschlossen. „Da sind Leute dabei, die keine Kirchensteuer mehr zahlen, aber gläubig sind“, schildert Schmidt. „Die schreiben an die Bischöfe, weil sie der Kirche trotzdem angehören wollten.“ Von den kirchlischen Würdenträgern aber werden die treuen Schäfchen trotz ihrer Glaubensbekundungen verstoßen – kein Geld, keine Christengemeinschaft.

Damit steht Deutschland allein auf der Welt. In Frankreich beispielsweise finanzieren sich die Kirchen zu Dreiviertel über freiwillige Beiträge. In Italien können die Steuerzahler selbst entscheiden, ob sie 0,8 Prozent ihrer Einkommenssteuer dem Staat oder der Kirche schenken wollen. In den USA hängt der Geldsegen besonders eng mit dem emotionalen Service der Glaubensgemeinschaften zusammen. Mega-Churches locken dort ihre Anhänger mit Mammut-Gottesdiensten, wo die Gläubigen mit riesigen Musikanlagen in Andacht versetzt werden und GenossInnen auf Videowänden von ihrer Erweckung schwärmen. Die massierte Seele spendet dann besonders großzügig.

„Das Spendensystem wird in Nordamerika kritisiert, indem auf spezifische Zwänge hingewiesen wird, vor allem auf die Gefahr der Abhängigkeit von finanzstarken Kirchenmitgliedern“, heißt es in einem Arbeitspapier der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Bei diesem System würden „weniger ansehnliche Kirchenprojekte“ geringer gefördert als soziale Projekte, deren Nutzen nicht gleich sichtbar ist. Eine „Abstimmung mit dem Geldbeutel“ befürchten denn auch Kirchenvertreter, wenn hierzulande die staatlich eingezogenen Steuer abgeschafft würden.

Längst aber entscheidet der Geldbeutel über Wohl und Wehe der Ökumene. Seitdem Anfang des Jahres der Solidaritätszuschlag eingeführt wurde, verlassen immer mehr Menschen die evangelische und die katholische Kirche.

Die Zahl der Abtrünnigen steigt stetig

Nach einer dpa-Umfrage stieg die Zahl der Kirchenaustritte im Westen im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 30 bis 40 Prozent. „Sobald die Leute im Januar die erste Steuerabrechnung sahen, haben die uns die Bude eingerannt“, erzählt eine Mitarbeiterin des Amtsgerichts in Essen. Bei den Amtsgerichten müssen die Austritte gemeldet werden. Waren aus der evangelischen Kirche im Jahre 1975 nur 168.600 Mitglieder ausgetreten, stieg die Zahl 1992 schon auf 254.400.

Es sind aber nicht nur die 17 Milliarden Mark Steuereinnahmen (von denen der Staat übrigens drei bis vier Prozent „Einzugshonorar“ kassiert), die Gläubige fordern lassen, daß Kirche und Staat endlich getrennt agieren mögen. Die Kruzifixe und der Religionsunterricht in Schulen sind ebenfalls nur in wenigen christlich dominierten Ländern üblich.

In US-Schulen gibt es Schweigeminuten

In den USA haben sogar Eltern gegen die Aufstellung einer Weihnachtskrippe in einer öffentlichen Schule geklagt. Das gemeinsame Schulgebet ist dort zum innenpolitischen Zankapfel geworden. Präsident Bill Clinton hat jetzt als Kompromiß eine „Schweigeminute“ eingeführt. Darin sollen die Kleinen dann zum Gott ihrer Wahl beten dürfen. Religionsunterricht in der Schule aber ist tabu.

In Frankreich dürfen Mädchen laut Erlaß nicht mal Kopftücher tragen, Jungs keine jüdischen Gebetskäppchen. Ein Kruzifix im Klassenzimmer würde dort gänzlich auf Unverständnis stoßen. Religionsunterricht müssen die Glaubensgemeinschaften selbst organisieren.

In Polen dagegen gilt das Kreuz nicht nur als religiöses Symbol, sondern auch als Zeichen nationaler Identität. Die Mehrheit der Polen ist allerdings auch römisch-katholisch. Mitte der 80er Jahre demonstrierten sogar katholische Eltern, damit in den staatlichen Schulen Kruzifixe aufgehängt werden durften. Das Kruzifix verwandelte sich dort in ein Zeichen der Befreiung von den kommunistischen Machthabern. Als die kommunistische Regierung 1990 abtrat, wurde auch der Religionsunterricht sofort eingeführt. Atheisten und Anhänger anderer Glaubensrichtungen hatten das Nachsehen. Barbara Dribbusch