Azurjungfer trifft Gilbweiderich

■ Eine ökologische Paddeltour auf der Semkenfahrt / Seltene Tiere und Pflanzen und wie man ein Gewässer naturnah befestigt

Eislaufen im Sommer? Wohl kaum, aber gestern früh trafen sich dort, wo im Winter viele Bremer Schlitt- und Handschuhbepackt hinströmen, JournalistInnen, BiologInnen und GewässerexpertInnen: Die Wümmewiesen waren der Ort des Interesses. Eingeladen hatte der Bremische Deichverband am rechten Weserufer zur geruhsamen Paddelfahrt auf der Semkenfahrt und von dort über die Kleine Wümme zum Torfhafen Findorff. Fehlen durfte da natürlich auch nicht Bremens bekanntester Umweltschützer, der stellvertretende Deichhauptmann Gerold Janssen.

In zwei handbetriebenden Canadiern wird losgepaddelt und schon bald kriechen schwerfällig erste kleine Schnecken ins Holzboot, die aber dann unliebsam wieder zurück ins Wasser geschnippt werrden. Anlaß für Bootsführer Janssen, über das Ökotop Semkenfahrt zu schwärmen. 1868 angelegt, ging der Torfkanal 1927 in die Verantwortung des Deichverbandes über. Die Torfschifffahrt hatte nämlich nach dem 1. Weltkrieg stark nachgelassen und die ehemals verantwortlichen MoordörflerInnen konnten für die Semkenfahrt nicht mehr aufkommen.

Der Deichverband hat nun hier über Jahre durch naturnahe Umgestaltungsmaßnahmen ein kleines Paradies für Flora und Fauna geschaffen. In Zusammenarbeit mit der Uni Bremen ließ man bei der Neugestaltung des Deiches die alte Uferkante stehen und so konnten durch die dahinterliegende Flachwasserzone Ruhezonen mit Auslaufbuchten entstehen. Dort schwimmt allerdings gefährlich viel Entengrütze, so daß sich die wasserscheue Besatzung bemüht, das Boot einigermaßen in der Waage zu halten.

Durch die Umgestaltung konnte die Semkenfahrt zu einem der artenreichsten Gewässer Bremens werden. Neben wichtigen Röhrichtarten, Blut- und Gilbweiderich findet sich hier ein Schwimmblattgürtel aus See- und Teichrosen und z.B. auch die seltene Zyperngras-Segge oder der gerade noch weiß blühende Froschbiß. Aber nicht nur Pflanzen haben sich angesiedelt: Auch Insekten wie Azurjungfer oder Gebänderte Prachtlibelle und natürlich zahlreiche Schmetterlingsarten fühlen sich hier wohl. Unter Wasser tummeln sich schließlich noch Hecht, Bitterling und Schlammpeizger. Am Ufer beobachtet nun Horst, der Bisamfänger, in beinhohen Gummistiefeln das Treiben auf dem Wasser. Auch Bisamratten gibt es hier also, von denen wir aber keine zu Gesicht bekommen.

Zwischendurch muß immer mal wieder für kameratechnisch wichtige Umsetzaktionen des Buten & Binnen Teams angehalten werden. Bei einem dieser Stops finden sich dann auch am Uferrand ein paar angeschwemmte Teichmuscheln. Diese werden bis zu 18 cm groß und sind für die Säuberung des Wassers und die gute Wasserqualität zuständig. Bei einer Entschlemmungsaktion fischte man hier in einem Streifen von 1.4 Kilometern über 9.000 Muscheln heraus, was belegt, daß die Semkenfahrt auch noch das muschelreichste Gewässer in ganz Bremen ist. Von der ökologischen Qualität und der Artenvielfalt läßt sich die Semkenfahrt nur mit der Gröpelinger Fleet vergleichen. Dort gibt es sogar noch ausgedehntere Buchten und das Ufer wird nicht durch einen Deich beschränkt.

Wenn im Winter auf den Wümmewiesen zahlreiche Schlittschuhläufer ihre Pirouetten drehen, kümmert das die Pflanzen wenig. Im Gegenteil: Daß im Winter das Wasser hoch steht, das führt dazu, daß im Frühjahr auch die höher liegenden Gebiete feucht sind und dadurch die Pflanzen schneller austreiben, erzählt Josef Müller, Botaniker an der Bremer Uni.

Finanziert wird die Arbeit des Deichverbandes durch die rund 80.000 Mitglieder, das sind nämlich alle Haus- und Grundbesitzer auf der rechten Weserseite, die monatlich ihre Deichgebühr begleichen müssen.

Allmählich verlassen wir die Semkenfahrt und gelangen in die Kleine Wümme. Dort fällt sofort die technische Ufergestaltung und die artenärmere Vegetation ins Auge. Vor etlichen Jahren sicherte man dieses Gewässer mit einer Brettverpackung aus tropischem Bongossi-Holz. Da hier allerdings – wie auch an diesem Tag – noch Motorboote durchs Wasser schießen, gäbe eine naturnahe Uferbefestigung wie in der Semkenfahrt wenig Sinn. Gerade deshalb, so betont Gerold Janssen, ist es auch so wichtig, daß die Semkenfahrt für Motorboote geschlossen bleibt. Die Uferhochstauden dort könnten nämlich auf Dauer dem Wellenschlag der Motorboote nicht standhalten.

Eine weitere Möglichkeit der Ufersicherung ist die mit Steinverpackungen. In diesem Fall werden Natursteine an den Uferrand gelegt, die aber auch noch Platz für Pflanzen lassen, z.B. für kleine Erlen, wie vom Boot aus im Torfkanal zu beobachten ist. Für jedes Gewässer ist je nach Lage und Nutzung eine unterschiedliche Uferbefestigung notwendig. Josef Müller meint, daß bei einer naturnahen Gestaltung eben etwas mehr Geduld erforderlich sei. Flora und Fauna brauchen eben ihre Zeit. Aber dank Ergebnissen wie denen in der Semkenfahrt wächst die Akzeptanz einer biologischen Ufersicherung.

Gegen Mittag ist der Torfhafen Findorff erreicht und alle Beteiligten gelangen schließlich trockenen Fusses an Land. Und rundum ökologisch gebildet sowieso. ans