Die Regeln gelten doch!

■ Aus Gründen des Jugendschutzes darf RTL2 seine Wrestling-Kämpfe nicht am Nachmittag zeigen

Sie sehen aus wie menschliche Fleischklopse in zu heiß gewaschenen Superman-Kostümen. Sie hören auf so schöne Namen wie „Gravedigger“ und „Black Killer“ und machen ihnen auch alle Ehre: denn wenn zwei angeblich „seit Jahren verfeindete“ Kontrahenten des amerikanischen Show-Wrestlings in den Ring steigen, geht es gelinde gesagt heftig zu: Statt zu ringen (das bedeutet Wrestling nämlich eigentlich), knallen sich die TV- Gladiatoren plötzlich gegen die Pfosten, würgen einander mit den Gummischnüren am Ring, verdreschen nebenher den mit Schlichtungsversuchen selbstverständlich überforderten Schiedsrichter, um dann ungestört im Zuschauerraum weiterzuwüten. Denn nicht selten kommen dem scheinbar unterlegenen Kämpfer zwei Wrestler aus dem Publikum zu Hilfe – der Mann hat offenbar seine großen Brüder mitgebracht...

Nicht ohne Grund stehen die Fernsehübertragungen der WWF- Show-Wrestling-Kämpfe, hierzulande vor allem von RTL2 gezeigt, ganz oben auf der schwarzen Liste der Jugendschützer: Das „No hold barred“-Prinzip, wonach die Regeln nicht mehr gelten, und die sich vor sportiver Panik überschlagenden Kommentatoren („Oh, meint Gott, Hulk Hogan hat den Kampf in Las Vegas 1991 nicht vergessen. Das ist seine Rache!“) scheinen für zarte Kinderseelen kaum geeignet. Weil die Jugendlichen den Show- Charakter der in Wahrheit allesamt abgesprochenen Kämpfe noch nicht durchschauen können, dürfen die Wrestling-Schlachten hierzulande nur zu später Stunde, nach 21 Uhr, übertragen werden.

Gleichwohl erfreut sich das Wrestling in Deutschland besonders bei Kindern im Grundschulalter großer Beliebtheit. Um, wie RTL2 im Vorfeld erklärt hatte, „den zahlreichen Anfragen von jugendlichen Fans und deren Eltern, Wrestling zu einem früheren Termin als bisher anzubieten“, nachzukommen, hatte der Münchner Sender am vorvergangenen Sonntag Wrestling erstmals im Nachmittagsprogramm gezeigt. Um den erwartbaren Proteststurm der Medienwächter im Vorfeld abzufedern, beauftragten die Münchner zwei Medienpädagogen mit der Entwicklung eines wissenschaftlichen Beiprogramms und erklärten das Ganze dann hochtrabend zum „medienpädagogischen Feldversuch“. „Wir werden versuchen“, so RTL-2-Geschäftsführer Rudolf- Markus Reischl zum Start des Projekts, „die Landesmedienanstalten von der Wirksamkeit der Maßnahmen zu überzeugen, die wir im Zusammenhang mit der Programmverlegung getroffen haben.“

Der Versuch schlug fehl. „Wenn so was angekündigt wird, programmieren wir natürlich unsere Videorekorder“, erklärt Sigrun Müller-Gerbes, Pressesprecherin der Landesanstalt für Rundfunk in Nordrhein-Westfalen (LfR). Und was man da aufgenommen hatte, stellte die Medienwächter dann erwartungsgemäß nicht zufrieden. Zwar wurde in der Kindersendung „Vampy“ mehrmals erklärt, daß Show-Wrestling nur inszeniert sei und daß man sich „weh tun kann“, wenn man versucht, das Gesehene nachzuahmen. Und auch Christiane Baker zeigte an jenem Sonntag in „Bravo-TV“ unmittelbar vor der Wrestling-Show einen Filmbericht über das „Sport-Entertainment“. Die Wrestling-Sendung selbst aber war von der üblichen Machart: Weder Show noch Kommentar ließen vermuten, daß es sich bei dem Gezeigten um eine Inszenierung handelte.

Das Urteil der Landesmedienanstalten machte dem „Feldversuch“ also ein schnelles Ende: Ein lediglich um die eigentliche Show plaziertes Begleitprogramm, so die LfR, reiche nicht aus, weil viele Zuschauer sich erst während der laufenden Sendung zuschalten. Auch Joachim von Gottberg von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen protestierte: Jüngere Zuschauer, so sein Urteil, hätten Schwierigkeiten, die Kämpfe als Show zu erkennen. Der „Feldversuch“ bleibt darum bis auf weiteres ohne Fortsetzung: Am letzten Wochenende schlug man sich wieder zur gewohnt späten Stunde. Wenn Kids in Zukunft Wrestling sehen wollen, müssen sie nun also den Videorekorder programmieren. Tilmann Baumgärtel