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Der Feind an deiner Seite

In der neuen zivilen Polizei in El Salvador müssen ehemalige Guerilleros und Militärs zusammenarbeiten – sie können das nur, wenn sie über die Verbrechen der Vergangenheit schweigen  ■ San Salvador Anne Zielke

Fotos haben für Francisco Sermeno eine besondere Bedeutung. Manchmal bedauert er, daß er nie ein Foto seiner Ausbilderin Tita gehabt hat. Als Elfjähriger verliebt man sich leicht in seine Lehrerin, wenn sie so klug über Politik redet und auch den viel Älteren zeigen kann, wie man mit Waffen umgeht. Eines Tages, es ist wohl im Jahr 1979 gewesen, konnte er beobachten, wie sie in ein Auto der Guardia Nacional einsteigen mußte. Vierzehn Tage später sah er sie noch einmal. Ein Foto hätte Francisco vielleicht geholfen, das letzte Bild von Tita zu vergessen: die Hände gefesselt, das Gesicht von Batteriesäure zerfressen.

Die Erinnerungen lassen sich nicht töten; sie kommen wieder. In solchen Momenten fällt es Francisco schwer, seine neuen Kameraden aus der Policia Nacional Civil nicht zu hassen. Polizisten wie Mario Perez Garcia, der als Soldat in der 4. Kompanie des Infanteriebataillons Pran gekämpft hat. Die Infanteristen sind berüchtigt gewesen, weil sie viele Salvadorianer gefoltert, verschleppt und ermordet haben. Francisco redet sich dann ein, daß auch sie nur Befehle befolgt haben – so wie er selbst in der Guerilla. Daß der eigentliche Feind in den Offiziersmessen und im Regierungskabinett gesessen hat. Daß die Soldaten manchmal gar nicht wahrhaben wollten, was sie taten, weil sie den Erzählungen ihrer Vorgesetzten glaubten: Wenn die Kommunisten an die Macht kommen, werden sie eure Kinder töten. Es bringt nichts, glaubt Francisco, die Vergangenheit heraufzubeschwören. Deshalb scherzt er mit seinen neuen Kameraden, geht mit ihnen aus – und redet mit ihnen nie über das, was gewesen ist.

In der Policia Nacional Civil ist es verboten, über Politik zu diskutieren. Sonst würde das einzigartige Experiment, das El Salvador mit Unterstützung der UNO begonnen hat, vielleicht nicht gelingen: eine neue zivile Polizei zu schaffen und gleichzeitig ehemalige Guerilleros und Militärs zu integrieren. Die Bevölkerung hatte bis dahin die Polizei nur als Repressionsmittel eines gewalttätigen und scheinbar allmächtigen Staates gekannt. Zwölf Jahre lang haben in El Salvador Soldaten und Rebellen aufeinander geschossen. Doch seit 1992, als die Bürgerkriegsparteien das Abkommen von Chapultepec unterschrieben und mit dem Frieden ernst gemacht haben, müssen die ehemaligen Gegner in der neugegründeten PNC zusammenarbeiten.

Eine Quotenregelung bestimmt die Zusammensetzung: 20 Prozent der neuen Polizisten sind ehemalige Militärs, 20 Prozent werden von Guerilleros der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) gestellt, die mittlerweile als Partei in den politischen Auseinandersetzungen in El Salvador kämpft. Die restlichen Polizisten kommen aus der Zivilbevölkerung. Ein Gesellschaftsexperiment mit ungewissem Ausgang: „Wir dachten“, erinnert sich Polizeischuldirektor José Mario Bolaños, „daß sich Guerilleros und Soldaten gegenseitig an die Gurgel gehen.“ Statt dessen gingen einige zum Standesamt. Inzwischen, bekundet Bolaños zufrieden, hätten sich „vier oder fünf“ FMLN-Kämpferinnen mit Ex-Militärs vermählt.

Obgleich nicht bei allen ehemaligen Gegnern das Verhältnis so innig ist, scheint die PNC ihre erste Bewährungsprobe bestanden zu haben. Doch jeder der Polizisten hat seine ganze eigene Geschichte in die Gegenwart mitgebracht. Die wachsende Kritik an der neuen Polizei zeigt, daß es nicht so einfach ist, von vorn zu beginnen. Deshalb hat auch die PNC mit dem gleichen Problem wie Francisco zu ringen: der Vergangenheit.

Francisco gehört zu denen, die als Zivilpersonen in die PNC eingetreten sind. Dabei hat er bis zuletzt für die FMLN gekämpft. Auch beim Angriff auf die Hauptstadt San Salvador, als die totgeglaubte Guerilla noch einmal all ihre Kräfte sammelte und am 11. November 1989 überraschend in der Stadt einmarschierte. Die Weltöffentlichkeit aber schaute nach Berlin: Zwei Tage zuvor war die Mauer geöffnet worden, und die Deutschen umarmten sich vor Freude, während in San Salvador die Menschen starben. Der Krieg hatte die Stadt erreicht.

„Damals“, erinnert sich Francisco, „hat es mich beinahe erwischt.“ Als ein FMLN-Kamerad von einer Militäreinheit gefangengenommen wird, versucht Franciscos Gruppe, ihn zu befreien. Sie schleichen sich an die Soldaten heran. Plötzlich explodiert eine Granate, dann noch eine. Maschinenpistolen tackern. Franciscos Gruppe ist in einen Hinterhalt geraten. Die Männer rennen um ihr Leben. „Aber am schlimmsten“, sagt Francisco, „ist immer die Vorstellung gewesen, daß sie dich lebendig kriegen. Daß sie dich vergewaltigen könnten oder Stück für Stück töten.“ Francisco sieht neben sich seinen Kameraden Carlos stürzen. Aus dessen Kopf schießt Blut. Francisco legt sich den Verletzten über die Schulter und flüchtet mit ihm über einen Stacheldrahtzaun. Fast nebenbei registriert er, wie Kugeln vorbeipfeifen. Während er Carlos über den Zaun hievt, bleibt er im Stacheldraht hängen und reißt sich die ganze Seite auf. „Als wir es dann geschafft hatten, zitterte ich am ganzen Körper. Und dieser verrückte Carlos erzählt mir vor einiger Zeit, daß er in jenem Moment nur an eines gedacht hat: mit seinem Blut ,FMLN‘ in den Sand zu schreiben.“

Als das Ende der Kämpfe abzusehen war, weil im Ausland schon Verhandlungen zwischen Guerilla und Regierung begonnen hatten, blieb Francisco einfach zu Hause. Deshalb ist er nie demobilisiert worden. Bei Kriegsende hat man nur diejenigen Kämpfer registriert, die offiziell ihre Waffen abgeliefert haben. „Ich wollte nicht, daß sie meinen Namen erfahren.“ Er hatte Angst, daß er als Guerillero Probleme bekommen könnte. Denn zu jener Zeit habe keiner gewußt, wie es nach dem Krieg weitergehen würde.

Deshalb haben viele FMLN- Kämpfer das gleiche gemacht wie Francisco: sie sind offiziell als Zivile in die PNC eingetreten, obgleich sie zur Guerilla gehört haben. Mitglieder der alten Sicherheitskräfte haben die Zwanzigprozentquote ebenfalls umgangen. Mario Perez Garcia vom Infanteriebataillon Pran zum Beispiel ist auch als Ziviler in die Polizei eingetreten. In der Colonia Zacamil arbeitet er jetzt als Streifenpolizist. Manchmal fällt es ihm ein wenig schwer, weil „keiner mehr Respekt vor uns hat“.

Doch eine andere Arbeit kann sich der 21jährige nicht vorstellen, denn er hat nie etwas anderes gelernt, als Befehlen zu gehorchen, vorsichtig zu sein und zu schießen. Ein bißchen ist er auch stolz darauf, wieder eine Uniform zu tragen. Manchmal rückt er seine Jacke so zurecht, daß man sein Pistolenhalfter sieht. Während Francisco in den Straßen San Salvadors auf Soldaten schoß und nachts von einem Versteck zum nächsten schlüpfte, ist Mario mit 15 Jahren in die Armee geraten. Nicht freiwillig sei er Soldat geworden, beteuert Mario. Man habe ihn verschleppt. „Die haben mir einfach eine Waffe in die Hand gedrückt.“

Doch Mario ist in der Armee geblieben – wenngleich nicht aus politischen Gründen. Wenn der junge Polizist von seinem älteren Bruder redet, wird er leidenschaftlich. Die FMLN habe den Bruder hinterlistig ermordet. Auch er war Soldat. Verraten hatte ihn seine Freundin, von deren FMLN-Mitgliedschaft er nichts gewußt hatte. „Ich habe dann nur noch daran gedacht“, gibt Mario zu, „meinen Bruder zu rächen.“ Doch wie er sich gerächt hat, sagt er nicht. Während des Krieges sind in El Salvador achtzigtausend Menschen ermordet worden. Eine internationale Untersuchungskommission schätzt, daß 90 Prozent der Menschenrechtsverletzungen auf das Konto des Militärs und der mit ihnen verflochtenen Todesschwadronen gehen. Auch seine Kompanie, sagt Mario, habe „unschuldige Leute“ umgebracht. Befehlsverweigerung wäre „hart bestraft“ worden. Er selbst hat nie eine harte Strafe bekommen.

Erblasten gibt es in der PNC genug. Zum Teil sind, vorbei an der obligatorischen Polizeiakademie, ganze Einheiten der alten Policia Nacional in die PNC eingeschleust worden – wie die Drogenfahndungsabteilung und die Kriminalpolizei. „Unregelmäßigkeiten“, kritisiert die FMLN, gebe es auch bei der Verteilung der Ausbildungsplätze an der Polizeischule. Ehemaligen Militärs würden mehr Plätze zugeschoben, als die Quote erlaubt. Die FMLN hält die PNC für unterwandert und sorgt sich um den zivilen Charakter der Polizei: Falls in der PNC nichts geändert werde, fürchtet die salvadorianische Partei in einem internen Papier, würden die ursprünglichen Ziele der PNC „vollkommen pervertiert“.

10. Mai 1994. Avilio Ricardo Martinez wird gegen 15 Uhr von Polizisten verhaftet. Sie vermuten, daß er Schmuck geraubt hat. Doch als sie ihn durchsuchen, finden sie nichts. Martinez wird zum Polizeiquartier mitgenommen und in einem Zimmer festgehalten. Ein Zeuge hört kurz darauf Schreie. Martinez berichtet später, man habe ihn in den Hals und in den Bauch geboxt. Danach ist er in ein anderes Zimmer gebracht worden. Dort habe man ihm Elektroschocks in die Hand gejagt und ihm eine Plastiktüte über den Kopf gezogen.

Im ersten Halbjahr 1994 haben salvadorianische Polizisten 147 Menschenrechtsverletzungen begangen. Die internationale Beobachtergruppe Unosal fürchtet in ihrem letzten Bericht, daß dies an der Übernahme alter Sicherheitskräfte liegen könne. Besonders bedenklich sei die Eingliederung der Drogenfahnder und der Kriminalisten, weil in diesen Abteilungen keine Beamten ausgewechselt worden sind. Zudem mußte keiner der übernommenen Polizisten die Polizeischule besuchen, wo unter anderem die Menschenrechte auf dem Ausbildungsplan stehen. Die Regierung indessen, dominiert von der rechten Arena-Partei, streitet jede Militarisierungstendenz innerhalb der PNC ab.

Doch gleichzeitig sucht der salvadorianische Präsident Armando Calderón Sol, in dessen Haus sich laut CIA-Berichten Anführer von Todesschwadronen getroffen haben, die strikte Trennung zwischen Polizei und Armee aufzuheben – und bricht damit Friedensabkommen und Verfassung. Denn am 13. März dieses Jahres sahen die Bewohner San Salvadors ein von früher gewohntes, doch längst verdrängtes Bild: Militärs patrouillierten Seite an Seite mit Polizisten. Rund 6.500 Soldaten sollten der überlasteten Polizei wochenlang helfen, Verbrecher zu fangen. Denn 7.000 Polizisten, so die Regierung, seien zu wenig angesichts der hohen Kriminalität: 1994 sind allein 9.135 Morde geschehen, also durchschnittlich 25 am Tag.

Unosal protestierte sofort gegen den Verfassungsbruch. Selbst Polizeischuldirektor Bolaños zeigt sich wenig begeistert. „Ich glaube nicht“, formuliert er vorsichtig, „daß der Armee-Einsatz optimal ist.“ Ende April haben die Unosal- Berater das Land verlassen, die Salvadorianer sind wieder unter sich. Die öffentliche Verbrüderung von Militär und PNC gefällt auch Francisco nicht. Er mißtraut den Absichten, die er hinter dieser Mission vermutet. Die Menschen, argwöhnt er, sollen sich wieder an den Anblick der Militärs gewöhnen.

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