■ Die japanische Kriegsschuld und die wirkliche Lage
: Der pazifische Frieden ist stabiler

Die Europäer neigen dazu, Asien als ein unübersichtliches, heterogenes Völkergemisch zu betrachten, das zum Frieden untereinander seit den Feldzügen Dschingis Khans unfähig ist. Das asiatische Gedenken an die japanische Kapitulation vor genau fünfzig Jahren scheint dem europäischen Urteil noch einmal in jeder Hinsicht recht zu geben. Zerstritten wie eh und je, nahmen viele Asiaten die gestrige Entschuldigung des japanischen Premierministers Tomiichi Murayama für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges erst gar nicht zur Kenntnis.

Aber auch in Japan regiert in der größten Regierungspartei, bei den Liberaldemokraten, weiterhin jene Sturheit, die Nippons Kriegsverbrecher im Zweiten Weltkrieg noch heute als Helden feiert. Auf keiner Seite scheint ein Einsehen möglich: In den Köpfen währt der Pazifikkrieg, der weit mehr Opfer forderte als der Zweite Weltkrieg in Europa, bis heute fort.

Um so schwerer aber fällt in Europa offenbar die Erkenntnis, daß der pazifische Frieden seit 50 Jahren währt und stabiler denn je erscheint, während auf dem alten Kontinent der Krieg längst wieder zum Alltag gehört. Das Mißverständnis liegt auf der Hand: Während die Kriegsmoral des Zweiten Weltkriegs in Asien zwar tatsächlich nicht vergessen ist – und für das traditionelle europäische Politikverständnis womöglich schon genug Gründe für weitere Kriege liefert –, nimmt man diese Moral in den asiatischen Regierungskreisen doch in den wenigstens Fällen wörtlich. In Wirklichkeit setzen die Regierungen in Seoul, Peking, Manila und Singapur heute nur deshalb die Kriegsdebatte fort, weil sie damit politischen Druck auf das wirtschaftlich übermächtige Japan ausüben können.

Umgekehrt bekennen sich viele japanische Politiker heute nur deshalb zur Kriegsschuld, um ihren asiatischen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Alles in allem gibt also das Gezeter zum 15. August ebenso wenig Aufschluß über die wirkliche politische Lage in Asien, wie das harmonische Paradieren der westlichen Staatschefs am 9. Mai in Moskau die europäische Situation darstellt. Nur: Der Grundfaktor, der Asien heute in allen Regionen bewegt, bleibt der wirtschaftliche Aufschwung, nach dem sich Europa weiterhin sehnt. Der pazifische Frieden könnte sich also wider allen Eindrücken stabiler als der atlantische erweisen. Georg Blume, Tokio