■ Atomtests, zurückgegebene Orden und Hungerstreiks
: Teil des bösen Spiels?

Weiße Laken gegen den Golfkrieg, Lichterketten gegen brennende Ausländerbaracken, zurückgegebene Orden (Liv Ullmann) und abgesagte Theateraufführungen gegen französische Atomversuche: der Protest wird immer symbolischer und das Böse zum kulturellen Ereignis, in dessen ritueller Beschwörung Künstler bereitwillig eine Hauptrolle übernehmen. Intellektuelle waren und sind Medienarbeiter. Man braucht nur an den Anfang, an Emile Zolas zündenden Artikel „J'accuse“ von 1898 zu erinnern. Zolas Text gilt zu Recht als Meisterwerk: Zorn, Moral und messerscharfe Analyse bilden hier eine verblüffende Einheit. Aus einer vergleichsweise kleinen Schweinerei – dem Fehlurteil gegen den jüdischen Hauptmann Dreyfus – präpariert Zola die Trennlinie der französischen Gesellschaft: Antisemitismus, Militarismus, Kapital und Politik. Ihm ist die geniale Verbindung von Ereignis und Struktur gelungen. Wir feiern heute nur Ereignisse. Wie jedem stets gerne einfällt, ist unsere Gesellschaft seitdem viel unübersichtlicher geworden – und wir auch. Ich treffe immer mehr mißmutige Menschen, die der Zustand der Welt anekelt, aber denen eine Orthographie-Reform schon entschieden zu weit geht. Gesellschaftskritik wird zur beharrlich schlechten Laune und zur Glosse.

Irgendwann, irgendwo sind die Feinde abhanden gekommen: die Priester, die Klassen, die Mütter. Und Gipfel der Gemeinheit: Mitten im Häßlichen müssen wir uns als seine Handlanger entdecken. So entsteht der Bedarf, das Böse außerhalb zu lokalisieren und zu personalisieren, um wenigstens ein bißchen moralischen Überblick zu behalten. Bosnien ist so ein Ort geworden, Chirac so eine Figur. Es kommt darauf an, aus dem erschreckend dichten Kontinuum von Mord und Wahn einige Themen zu zentralisieren: symbolische Zuspitzungen des realen Schreckens. Dabei helfen Intellektuelle, Künstler und Medien. Das Böse wird sichtbar, und wir können es abarbeiten – symbolisch, durch Bettlaken, Rockkonzerte und, wie die Chefin des ThéÛtre du Soleil, Ariane Mnouchkine, durch Hungerstreik. Die hergestellten Ereignisse des Bösen halten die Moral in Gang, und trefflich verbergen sie, daß hinter dem garstigen Zustand der Welt vielleicht ein Programm steckt, dessen Kritik uns glatt aus den Theatersesseln risse. Kurz, es könnte gut sein, daß die Kultur der bösen Ereignisse ein Teil des bösen Spiels ist. Walter van Rossum

Freier Journalist, lebt in Köln