Viertel-Verkehrsberuhigung auf der Kippe

■ Umsatzeinbußen: Wenn die Läden nicht laufen, wird die Verkehrsberuhigung gekippt

Lange hat es gedauert, bis sich die Ostertorschen und Steintorschen entschlossen hatten, den Verkehr aus der Viertel-Meile zu drängen. Noch länger hat es gedauert, bis endlich die ersten Bagger anrollen konnten – und nun könnte alles schon wieder ganz schnell vorbei sein. Der Grund: den Viertel-Kaufleuten geht es schlecht, und zwar noch viel schlechter als dem Einzelhandel im Rest der Stadt. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Gutachten der Handelskammer hervor, das Anfang September vorgestellt werden soll. Wenn sich dieser Trend nach unten verfestigen sollte, dann könnte das die Verkehrsberuhigung im Viertel wieder kippen. Der haben die Kaufleute nämlich nur zugestimmt, weil sie die Hand an der Notbremse behalten durften. Wenn die Kassen nicht mehr klingeln wird alles wieder rückgängig gemacht.

Die konkreten Zahlen werden noch nicht rausgerückt, aber gestern veröffentlichte die Handelskammer eine Umfrage bei bremischen Unternehmen. Das Ergebnis: Insgesamt schätzt der Einzelhandel in Bremen seine Situation negativ ein. 40 Prozent der EinzelhändlerInnen beurteilen ihre gegenwärtige Lage als schlecht. Und was die Stadt insgesamt betrifft, das scheint das Viertel noch viel stärker zu treffen. Norbert Caesar, Vorsitzender der Interessengemeinschaft „Das Viertel“, schätzt die Lage in seinem Quartier noch düsterer ein: „Allein in diesem Halbjahr habe ich Umsatzeinbußen von 20 Prozent bei mir verzeichnet“. Er weiß von vielen, denen es ähnlich geht. Die meisten alteingesessenen Kaufleute im Ostertor seien häufig kurz vorm Abkippen und könnten sich nur noch durch Selbstausbeutung über Wasser halten. Und Schuld daran seien die Bauarbeiten.

Doch trotz der Kritik an den fast zwei Jahre dauernden Umgestaltungsmaßnahmen, es gibt auch positive Stimmen. Caesar geht davon aus, daß ohne die begleitende Imagekampagne für das Viertel bereits jetzt schon das Aus für viele gekommen wäre. Diese Imagekampagne war als „außergewöhnliche Kompensation für die außergewöhnlich langen Baumaßnahmen gedacht“, sagt Rainer Imholze, Sprecher des Bausenators. Damit soll der großstädtische „multikulturelle Mix“ im Viertel als Image verfestigt werden: alteingesessenen Läden und Szene, Gastronomie und BewohnerInnen.

Genau dieser Mix ist es, der es den beteiligten Politikern, die sich als Moderatoren verstehen, so schwierig macht. Der Viertelbürgermeister Robert Bücking berichtet von hunderten von Treffen von Anwohnern und Geschäftsinhabern, um zu einem Kompromiß über die Verkehrsberuhigung zu gelangen. Jetzt tritt die bisherige Planung in die heiße Phase der Erprobung: Die Regelungen, die man mit jedem einzeln ausgehandelt hat, müssen sich nun im Alltagsverhalten bewähren. „Wir sind jetzt in der Realisierung der langen Diskussionen. Der Ausgang ist offen, aber es wird spannend“.

Hans-Joachim Torke, Referatsleiter beim Wirtschaftssenator, scheint der Verkehrsberuhigung keine großen Überlebenschancen zu geben: „Wunsch und Wille“ vieler ViertelbewohnerInnen klafften eben doch weit auseinander. „Das Kaufverhalten ist schlichtweg pragmatisch orientiert“, wo es am günstigsten ist, deckt man seinen Bedarf. Die Wünsche nach einem kleinen Laden an der Ecke oder kleinstädtischer Gemütlichkeit hält er für „sozialromantische Übertünchung“. Die Chance nach den Umgestaltungsmaßnahmen liege darin: Die Aufenthaltsqualität auf der Meile zwischen Hamburgerstraße und Goethetheater zu verbessern, und dem ganzen ein großstädtisches Flair zu geben. Bisher, könne davon noch keine Rede sein.

Eines steht für das Wirtschaftsresort schon lange fest: „Wenn sich die Maßnahmen negativ für die Kaufleute auswirken, dann werden die Umgestaltungen zurückgebnommen“. Volker Siefert