Eine ungeheuerliche Studie

Istanbul (taz) – Wie eine Bombe ist in Ankara eine Studie über den kurdischen Konflikt eingeschlagen, die der mitgliederstärkste türkische Wirtschaftsverband TOBB in Auftrag gegeben hatte. Dem Bericht, der von dem angesehenen Politikwissenschaftler Dogu Ergil verfaßt wurde, ist Ungeheuerliches zu entnehmen. Von 1.267 in Türkisch-Kurdistan befragten Interviewpartnern bezeichneten sich 90,8 Prozent als Kurden. 34,8 Prozent bejahten die Frage, ob Familienangehörige Mitglied der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) seien. Die überwältigende Masse – 76,8 Prozent – glaubt nicht daran, daß der türkische Staat erfolgreich im Kampf gegen die PKK sein wird. Fast die Hälfte äußerte Sympathie für die PKK.

Die Studie von Ergil, der keineswegs regimefeindlich eingestellt ist, fordert, durch Anerkennung der kulturellen Identität der Kurden der PKK das Wasser abzugraben. Doch selbst die empirischen Ergebnisse haben türkische Politiker aus der Fassung gebracht. Oppositionsführer Mesut Yilmaz verfluchte den Bericht. Rechtslastige Kolumnisten beschimpften Ergil als PKK-Mann, CIA-Agenten und Vaterlandsverräter. Auffallend zurückhaltend ist dagegen die türkische Ministerpräsidenten Tansu Çiller. Yalim Erez, Chef von TOBB, der die Studie in Auftrag gab, ist ein enger politischer Gefährte Çillers. Es gilt als kaum denkbar, daß er eine solch heikle Studie ohne ihr Okay in Auftrag gegeben hat. Vielleicht will sich Çiller, die bislang auf die Waffen der Generäle setzte, um den kurdischen Aufstand zu bekämpfen, mittelfristig andere Optionen freihalten.Ömer Erzeren