„Die Verwesung des irakischen Regimes schreitet voran“

■ Kanan Makiya über die Chancen, Saddam Hussein zu stürzen

taz: Herr Makiya, wann, glauben Sie, wird Saddam Hussein gestürzt?

Kanan Makiya: Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Aber wir sind sicher in der letzten Runde des Spiels. Die letzte Phase der Verwesung hat begonnen. Es gab jüngst Berichte über große Massaker in Bagdad. Es scheint, daß Udai, Saddams ältester Sohn, Watban al- Takriti getötet hat, Saddams Halbbruder, dessen Frau und einige andere Leute. Allein in den letzten drei Tagen soll ein halbes Dutzend Leute getötet worden sein. Es sieht so aus, als habe die Flucht von Hussein Kamel Hassan al-Madschid Streitigkeiten ausgelöst, die jetzt gewaltsam ausgetragen werden.

Hat die Flucht von Hussein Kamel also Saddam Hussein in ernste Bedrängnis gebracht?

Der Kreis um ihn wird immer enger. Er verliert die Unterstützung von Leuten, denen er sehr lange vertraut hat. Das muß aber nicht heißen, daß er unmittelbar bedroht ist – beispielsweise durch Einheiten der Armee oder der Palastgarde. Sicher herrscht in Bagdad große Verwirrung. Die Leute um Saddam Hussein machen sich Sorgen um ihre Allianzen. Ich bin überzeugt, daß jetzt jeder besorgt über seine Schulter schaut. Für mich ist aber nicht klar, daß die Flucht von Hussein Kamel eine sofortige Bedrohung Saddam Husseins bedeutet. Sie ist aber ein Zeichen dafür, daß die Verwesung des Regimes voranschreitet und daß wir uns Gedanken über die Zeit nach Saddam Hussein machen sollten. Der Versuch von Hussein Kamel, sich als eine Art Oppositionsführer zu präsentieren, bedingt diese Frage.

Hussein Kamel war eine der wichtigsten Säulen des Regimes. Jetzt will er Kontakt zur Opposition aufnehmen.

Wenn ich 20 oder 30 Leute auswählen sollte, die persönlich für die Verbrechen des irakischen Regimes haftbar gemacht werden, stünde Hussein Kamel auf Platz vier oder fünf der Liste. Wir sprechen nicht über jemanden, der als Minister für irgend etwas verantwortlich ist. Wir sprechen über jemanden, der persönlich die Panzer befehligt hat, die nach dem Krieg um Kuwait die Aufstände der Schiiten in den Städten Nadschaf und Kerbala niedergeschlagen haben. Die Panzer, die nach Kerbala gerollt sind, waren mit der Parole „Ab heute gibt es keine Schiiten mehr!“ bemalt. Er ist direkt für die Trockenlegung der südirakischen Sümpfe verantwortlich und damit für die Vernichtung der dort lebenden Sumpf-Araber. Nachdem er sich abgesetzt hat, hat Hussein Kamel kein Wort des Bedauerns darüber ausgesprochen. Im Gegenteil: Er sagt, das sei alles nötig gewesen.

Laut Gerüchten hat er Zugriff auf große Mengen Geld. Irakische Banker erzählen, er verfüge über 400 Millionen US-Dollar. Damit hofft er seine eigene Opposition führen zu können. Ich denke, wir sollten ihn zur Verantwortung ziehen und verlangen, daß er dieses Geld nicht für eigene Zwecke einsetzt. Wir sollten ihn vor eine internationale Justiz stellen.

Ist das Konsens innerhalb der irakischen Opposition?

Innerhalb des „Irakischen Nationalkongresses“ wird heftig darüber diskutiert. Einige Leute sagen: Wir müssen mit Hussein Kamel zusammenarbeiten. Aber meine Meinung ist: Er hat den Irak verlassen, weil er nicht in der Lage war, irgend etwas innerhalb des Landes zu tun. Deswegen wird er auch von außen nichts tun können. Man kann ihn jetzt zum Symbol der irakischen Opposition machen, aber ich denke, das wäre die falscheste Politik. Hussein Kamel ist nicht die Zukunft. Es gibt sicher Leute, die jemanden wie ihn als Garanten der Stabilität Iraks haben wollen. Aber das ist sehr kurzfristig gedacht.

Es gibt Berichte, wonach die CIA das Überlaufen von zahlreichen hochrangigen irakischen Militärs und Politikern organisiert. Sind solche Angaben realistisch?

Ich glaube nicht, daß die CIA bis jetzt die Kontakte hat, um so etwas zu organisieren. Sie hat nicht den Finger innerhalb des Regimes. Die Flucht von Hussein Kamel geht zu weiten Teilen auf die Rechnung von Saudi-Arabien und Jordanien. Ich habe gehört, daß in der US-Regierung immer noch darüber nachgedacht wird, wie man damit umgehen soll.

Was erwarten Sie von den westlichen Regierungen, falls Saddam Hussein demnächst stürzt?

Das hängt davon ab, wie er stürzt und wer ihn ersetzt. Falls es Hussein Kamel sein sollte, hoffe ich, daß sie Distanz halten. Aber ich glaube nicht, daß das in den nächsten Wochen passiert. Interview: Thomas Dreger