Ratlosigkeit in Moll

■ Rußland hat noch keine Lösung für Tschetschenien

Der Kreml blies in die Hörner, lauter und schärfer, als es seit langem zu hören war. Doch das Thema blieb dasselbe. Eine Variation auf die Ratlosigkeit in Moll. Das „Orchester“ spielte zudem noch aus verschiedenen Partituren. Wie anders darf man es verstehen, wenn die russische Führung den Tschetschenen drei Ultimaten in zwei Tagen stellt, die den Adressaten offiziell gar nicht erreichen, und die Fristen dann auch noch tatenlos verstreichen läßt? Premierminister Tschernomyrdin nutzte die Gunst der Stunde, um seinen Wahlkampf zu eröffnen und sich von seiner anderen Seite zu präsentieren: Nicht mehr als Friedensengel von Budjonnowsk, sondern als harter Staatslenker, der begreift, wann das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Wie soll es in Tschetschenien weitergehen? Die Russen wissen nicht aus noch ein. Eine Wiederaufnahme der Kriegshandlungen im Stile der Einäscherung Grosnys führt nicht zum Ziel, sonst wäre es längst geschehen. Rußland will Frieden und eine ihm ergebene regionale Macht, die den Status Tschetscheniens nicht anrührt. Solange man diese Frage jedoch vor sich herschiebt, kann es zu keinem haltbaren Frieden kommen.

Unterdessen verhandeln die beiden Kommandeure vor Ort weiter. Sie sind es, die zur Ruhe mahnen. Sie gehen pragmatisch vor. Von Rayon zu Rayon sollen die Freischärler ihre Waffen abliefern. An einen einmaligen Kraftakt ist nicht zu denken. Wenn es hoch kommt, läßt sich die Hälfte des Kriegsgebietes „demilitarisieren“. Mehr ist nicht drin. Sie machen jetzt die Politik und nicht der Kreml. Zugegeben, die Ergebnisse werden bescheiden sein, aber weniger Blut kosten.

Den Kreml plagt eine riesige Sorge: Wo sitzen die Verbündeten in Tschetschenien, die die russische Sache in ihrem eigenen Namen betreiben wollen? Noch läuft dafür die Ausschreibung. Die bisherigen Verbündeten, getreue Tschetschenen, die Rußland als Marionetten dienten, haben sich enttäuscht von Moskau abgewandt und mit dem verhaßten Dudajew sogar einige Übereinstimmungen hergestellt. So wächst der Souveränitätsdruck, dem nachzugeben Moskau unter keinen Umständen bereit ist. Bestenfalls wird daher eine begrenzte labile Friedenszone entstehen, an deren Rändern die Russen sich einrichten, um zuschlagen zu können, wann immer es geraten scheint. „Polizeiliche Strafaktionen“, die den „bewaffneten Banden“ gelten, lösen so die Kriegsmaschinerie ab. So fing auch der Krieg im November vorigen Jahres an. Klaus-Helge Donath, Moskau