: Sozialbehörde unter Tötungsverdacht
■ Ein kurdischer Yezide starb, nachdem in der Behörde eine dringende Operation verschleppt wurde
Am 26. Juni starb der kurdische Asylbewerber Celal Akan im Celler Krankenhaus an einer Leberzirrhose (s.taz S. 1). Für den Tod des Yeziden, der seit seiner Flucht im Februar 1994 in Bremen gelebt hatte, macht die „Solidarische Hilfe“ die hiesige Gesundheitsbehörde verantwortlich. Diese nämlich verschleppte über ein Jahr lang die für eine Lebertransplantation notwendige Zusage über die Kostenübernahme. Am Mittwoch erstattete der Flüchtlingsverein daher gegen die Behörde Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung.
Gestern gab die Bremer Sozialbehörde „schwere Fehler“ zu. „Was mich erschüttert“, sagt Pressesprecher Jochen Eckertz, „ist die Kette läßlicher Sünden“. Daran seien viele Personen beteiligt, die jeweils für sich genommen einen zunächst kleinen Fehler begangen hätten, welche erst, wie bei Katastrophen üblich, in der Summe zu jenen schwerwiegenden Konsequenzen geführt hätten. Die solidarische Hilfe spricht dagegen von einem „institutionalisierten Rassismus“, der sich bundesweit durch sämtliche Behörden ziehe. „Dies ist kein Einzelfall, sondern eine systematische Politik der Abschreckung.“
Celal Akan war im Februar in die in die Bundesrepublik eingereist. Kurz nach seiner Ankunft in Bremen mußte er sogleich vier Wochen im Krankenhaus „Links der Weser“ stationär behandelt werden. Man diagnostizierte eine schwere Hepatitis B und D, mit der sich der Flüchtling wahrscheinlich während seiner neunmonatigen Inhaftierung im Gefängnis von Diyarbakir infiziert hatte. Eine Lebertransplantation, so die Ärzte, sei unerläßlich. Am 11.4. wurde er in der Transplantationsambulanz der chirurgischen Universitätsklinik Kiel vorgestellt. Dort wollte man ihn auf die Warteliste nehmen, nachdem wie üblich die Kostenübernahme geklärt sei.
Dieser Prozeß aber nahm die kommenden Monate in Anspruch. Das Sozialamt holte Erkundigungen über die Kosten ein und ließ den Mann erneut von einem Arzt des Hauptgesundheitsamtes untersuchen. Der bestätigte, daß dem Patienten nicht mehr anders geholfen werden könne, als durch eine Lebertransplantation. Nachdem dem Ortsamt Horn-Lehe im August mitgeteilt worden war, die Kosten für die Operation lägen bei etwa 300.000 Mark, schaltete man dort die senatorische Behörde ein.
Im November ließ Staatsrat Hans-Christoph Hoppensack erneut die Kosten ermitteln. Kurze Zeit später, sagt die senatorische Behörde heute, habe sie die Operation bewilligt, obwohl dies eigentlich Aufgabe des Sozialamtes hätte sein müssen. Die Bewilligung aber hätte nicht zugestellt werden können. Tatsächlich war der schwerkranke Kurde im Dezember nach Schweden gereist, hoffend, daß ihm dort lebende Verwandte helfen könnten. Als er im Februar wieder zurückkehrte, wurde ihm nach zwei Wochen Sammelunterkunft ein Kellerraum in der Waller Heerstraße zugewiesen. Bezüglich der Kostenübernahme für die Operation begann die ganze Mühle jetzt von vorn. Das Sozialamt ließ wieder die Operationskosten ermitteln und bat das Hauptgesundheitsamt um eine neues Gutachten. Als die Solidarische Hilfe, die den Flüchtling seit etwa dieser Zeit betreute, im Mai beim Sozialamt Walle anfragte, hieß es, die Akten würden bei der oberen Dienststelle „hängen“. Ein anderes Mal sagte man den MitarbeiterInnen der Solidarischen Hilfe, der Antrag auf Kostenübernahme sei negativ entschieden worden.
In seiner Not reiste der 36jährige Celal Akan, dessen Zustand sich rapide verschlechtert hatte, zu Freunden nach Celle. Kaum angekommen, brach er zusammen, wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er eine Woche später starb. In der Zeit vom 16.2.94 bis zu seinem Todestag am 16.6.95 war er sechsmal im Krankenhaus behandelt und insgesamt siebenmal in unterschiedliche Sammelunterkünfte verlegt worden.
Zwei Tage vor seinem Tod, sagt jetzt die Sozialbehörde, wurde die Operation nochmals mündlich bewilligt. Der schriftliche Bescheid sollte noch folgen.
Dora Hartmann
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