Zu wenig Enthusiasmus für die Kultur

■ "Ich habe noch nie in einer so ärmlichen Stadt gelebt": Ein Gespräch mit dem Leiter des Jüdischen Museums, Amnon Barzel

Im November 1992 wurde in Berlin der Grundstein für ein Jüdisches Museum gelegt; etwa 120 Millionen Mark hat der Berliner Senat in den Bau des inzwischen wieder in den USA lebenden Architekten Daniel Libeskind investiert. Für die Zeit bis zur Eröffnung 1997 hat ein Zwölfergremium des Senats, dem auch Vertreter der Berliner Jüdischen Gemeide angehören, einen Gründungsdirektor bestellt: Amnon Barzel, geboren 1935 in Tel Aviv, der in Florenz ein Museum für zeitgenössische Kunst geleitet hat, nachdem er jahrelang Kurator für die israelischen Sektionen der Kunstbiennalen von Venedig und São Paulo war.

taz: Das Jüdische Museum, wie es Daniel Libeskind gestaltet hat, soll zugleich jüdische Geschichte und jüdische Kultur in Berlin repräsentieren. Als Direktor des Museums wollen Sie nun aber nicht Historie abbilden, sondern allgemeine Themen, die mit der jüdischen Kultur in Verbindung stehen – auch im Kontext zeitgenössischer Kunst.

Amnon Barzel: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte hat sich eine Regierung, in diesem Fall der Berliner Senat, dazu entschlossen, ein Jüdisches Museum zu errichten. Das frühere Jüdische Museum wurde in Berlin 1933 eröffnet, zehn Tage vor Hitlers Machtübernahme. Es war von der Jüdischen Gemeinde selbst errichtet worden. Jetzt haben wir ein Jüdisches Museum, über das das Parlament von Berlin verfügt. Zunächst hatte man sich dafür entschieden, das Berlin-Museum zu vergrößern – ein Museum also, das sich der Geschichte Berlins widmet. Die Zeitungen schrieben, der Senat hätte die Einrichtung einer ständigen Sammlung jüdischer Kultur als Joker benutzt, um genügend Geld für die Erweiterung des Berlin- Museums zusammenzubekommen. Das wird mit mir nicht zu machen sein.

Das Museum soll und muß ein Jüdisches Museum sein. Nur beruht es auf einem Modell der Integration. Man hat sich entschieden, daß es ein unabhängiges Jüdisches Museum innerhalb des Berlin-Museums sein soll. Ich wollte auch kein abgeschirmtes Museum haben, weil Juden in der deutschen Kultur integriert waren – zumindest bis 1933. Ich denke, das Jüdische Museum muß von zwei Realitäten zeugen, einer jüdisch-deutschen und einer deutschen, die miteinander verbunden sind – weder in Harmonie noch in gegenseitiger Durchdringung, sondern in Form von zwei Faktizitäten. Deutsches und jüdisches Leben haben sich gegenseitig beeinflußt, blieben aber getrennt. Man kann jüdisches Leben in Berlin nicht ohne die Situation Deutschlands verstehen.

Wie wollen Sie diese Situation mit zeitgenössischer Kunst in Zusammenhang bringen?

Nach dem großen Schock des Nationalsozialismus und dessen Versuch, Europa und die Welt zu zerstören, sehen wir Geschichte anders – so wie wir auch uns selbst sehen. Ich möchte mich in diesem Museum auf aktuelle Lösungen konzentrieren. Alles, was wir über die Vergangenheit wissen, drückt sich allein in der Gegenwart aus.

In einem Interview der amerikanischen Zeitung Newsweek wurde ich gefragt, welche Rolle den Juden heute zukommt. Das ist eine schwierige Frage. Juden, die sich ihrer Vergangenheit und der Geschichte der Welt bewußt sind, müssen es als ihre Aufgabe ansehen, etwas wie den Holocaust auf immer zu verhindern. Was es für uns heute zu respektieren gilt, ist das Recht des anderen. Wir leben in einer Ära der Entwurzelung und Vertreibung. Nationen gehen mitsamt ihren Kulturen ineinander über.

Man könnte ebensogut sagen, daß die Vorstellung der Nachkriegszeit vom Internationalismus in völlig andere politische Zusammenhänge geführt hat: die Entwicklung eines corporate international style, der überall gleich aussieht und in höchstem Maße totalitär und alles vereinnahmend ist.

Das ist nicht mein Ziel. Ich möchte, daß jeder frei über sich und seine Erfahrungen reden kann, ohne irgendeine Art von Minderwertigkeitskomplex. Wir alle nehmen an Informationen über Massenkommunikation teil. Und von dem Moment an, in dem dieses Wissen vermittelt ist, wird es zur Aufgabe jedes Individuums, damit umzugehen. Wir wissen von Bosnien, also fällt es in unsere Verantwortung. Wir wissen darüber Bescheid, daß in Kamerun Menschen verhungern, also werden wir dafür mitverantwortlich.

Die erste Ausstellung, die Sie im Jüdischen Museum ausgerichtet haben, bestand aus Fotografien von Sarajevo. Eine durchaus lobenswerte, aber doch eher journalistische Angelegenheit, die weniger innerhalb des Diskurses um zeitgenössische Kunst angesiedelt war.

Die Ausstellung im unteren Stockwerk des noch immer im Rohbau befindlichen Gebäudes für das Jüdische Museum zeigte Fotografien des Journalisten Edward Sarota. An diesem Ort mit seinen dicken Betonwänden wollte ich damit eine Erklärung abgeben: Es ging mir nicht nur um den Krieg in Sarajevo, sondern darum, zu zeigen, wie Bürger in einer von der Gefahr des Völkermords geprägten Zeit anderen Bürgern helfen können.

Auch das jüdische Museum in New York hatte in den fünfziger Jahren großen Einfluß auf die amerikanische Kunst. Seine Behandlung der jüdischen Kultur war relevant für die Kultur im allgemeinen.

Das stimmt nicht ganz. Es war ein jüdisches Museum. Solomon, der damalige Direktor, zeigte die erste Einzelausstellung Robert Rauschenbergs und stellte Roy Lichtenstein und Jasper Johns (frühe Pop-art-Künstler; d.R.) aus. Jüdisch daran, so scheint mir, waren nicht so sehr die Künstler selbst. Juden versuchen immer, an der Spitze gleich welcher Avantgarde zu stehen. Avantgardistische Kunst zu zeigen, die damals vom Museum of Modern Art abgelehnt wurde: das war sehr jüdisch. In New York, wie in den USA überhaupt machen Juden einen großen Teil der Sammler zeitgenössischer Kunst aus. In Deutschland war es vor dem Dritten Reich nicht anders.

Sind es solche Arbeiten, die Sie im Jüdischen Museum zeigen wollen? Etwa den israelischen Künstler Udi Aloni, der mit einigen Werken bei Ihrer ersten Ausstellung vertreten sein wird?

Aloni wird im September zusammen mit Nicole Klagsbrunn ausstellen. Er beschäftigt sich mit computergenerierten Bildern des Körpers, mit denen er eine Kabbala-Interpretation illustrieren will. Auch er will zeitgenössisch sein, zur Gegenwart gehören, obwohl er seine Arbeiten auf die Wurzeln der jüdischen Tradition gründet. Seine Arbeit ist absolut neu und radikal: eine Kabbala-Interpretation, die auf den Theorien des Literaturwissenschaftlers Harold Bloom basiert. Im Jüdischen Museum in Berlin werde ich es ebenso machen: Neben der Beschäftigung mit der Geschichte soll die Gegenwart ein echtes Thema sein und nicht nur indirekt behandelt werden, wie es im Jüdischen Museum in New York geschah.

Wie groß wird das Museum sein?

Mehr als 10.000 Quadratmeter. Ein Stockwerk soll wechselnden Ausstellungen vorbehalten bleiben. Daneben wird es dann verschiedene, thematisch unterteilte Dauerausstellungen geben. Eine werde ich „Die letzten Jahre: 1933–1945“ nennen. Eine andere Abteilung möchte ich Berliner Exilanten widmen, Künstlern wie Brecht und Weill, Dix, Heartfield und Beckmann. Und wenn ich dort das Exil zwischen 33 und 45 darstelle, will ich das mit dem Thema der Vertreibung heute in Verbindung bringen. Die historischen und die aktuellen Abteilungen werden sich vorwärts und rückwärts lesen lassen, werden sich gegenseitig ergänzen und bereichern.

Zu meiner Überraschung stößt ein so starkes, lebendiges Jüdisches Museum, in dem zeitgenössische Kunst mit der Geschichte des Holocaust in Verbindung gebracht wird, bei einigen Menschen im Senat auf heftigen Widerspruch. Sie befürchten, es würde zuviel aus der Vergangenheit, aber auch aus der Gegenwart bloßstellen, obwohl das ja manchmal dasselbe ist.

Hat die Vorstellung eines machtvollen Museums, das im Namen des jüdischen Volkes betrieben wird, etwas Bedrohliches für diese Leute?

Sie sehen die Juden nicht gerne große, wichtige Dinge tun. Aber das sind nur die Leute in der Verwaltung. Die Künstler und der Kunstbetrieb in Berlin und ganz Deutschland unterstützen mich, intelligente Leute helfen mir, und das ermutigt mich.

Was meinen Sie, wenn Sie sagen, daß die Verwaltung Ihnen die Unterstützung verweigert? Sprechen Sie von der finanziellen Unterstützung?

Es geht um die Weigerung, die Aufgaben des Jüdischen Museums klar zu definieren, und es geht um die Verweigerung von Geldern und materiellen Hilfen. Andererseits hat zur Zeit keine Institution in Berlin Geld. Diesen Monat wurde die Stiftung Stadtmuseum geschaffen. Vertreter von allen Museen haben sich zusammengesetzt – und auch wir gehören eigentlich dazu. Sie alle können gerade mal die Löhne ihrer Mitarbeiter bezahlen. Das ist das große Problem der Berliner Museen: Für alles, was über den laufenden Betrieb hinausgeht, fehlt das Geld. Ich brauche mindestens 11 Millionen Mark pro Jahr, Ankäufe nicht mit eingerechnet.

In den zwei Jahren, die uns bis zur Eröffnung bleiben, müssen wir sehr gründlich forschen. Wir brauchen neue Technologie, CD- ROMs, Online-Informationen usw. All das ist Standard heutzutage. Um ein leistungsfähiges Museum zu schaffen, braucht man mindestens 14 Millionen Mark. Dieses Geld ist im Moment nicht da, deshalb müssen wir mit Sponsoren und anderen Geldgebern zusammenarbeiten. Ich dränge die Bundesrepublik, das heißt die Bundesregierung, dieses Museum zu finanzieren. Schließlich war der Holocaust kein Berliner Phänomen. Hier geht es um Deutschland und um Europa.

Wird sich das Jüdische Museum aus der Zusammenarbeit mit der Stiftung zurückziehen, um selbst Gelder zu beschaffen?

Alle Museen in der Stiftung Stadtmuseum sind eng verzahnt. Das Jüdische Museum wird allerdings seine autonome Position behalten. Es soll eine getrennte Verwaltung und ein eigenes Budget haben, nur so kann ich Fördergelder von außen bekommen. Ich möchte überall auf der Welt Komitees der Freunde des Jüdischen Museums gründen, und ich will von allen großen deutschen Konzernen hören, ob sie das Jüdische Museum finanziell unterstützen. All diese großen Firmen, die es schon zur Nazizeit gab: Siemens, Mercedes, AEG. Wenn sie nein sagen, möchte ich ihr Nein hören. Und wenn sie nein sagen, möchte ich eine besondere Arbeit dazu in Auftrag geben. Ich bin mir sicher, daß Hans Haacke gerne helfen wird.

Wer sollte das Museum ursprünglich finanzieren?

Der Berliner Senat. Er hat das Museum in Auftrag gegeben, zahlt den Bau und bezahlt mich. Einen Teil des Budgets wird er auf jeden Fall beisteuern müssen, aber ich muß darum betteln. Der Senat ist doch froh, nicht genug Geld für das Jüdische Museum zu haben!

Die Kürzungen im Kulturbereich allgemein sind zur Zeit sicher einer der größten Fehler der deutschen Regierung. Was Berlin der Welt bieten kann, ist Kultur und Geschichte. Ich glaube, ich habe noch nie in einer so ärmlichen Stadt gelebt, mit so wenig Geld und so wenig Enthusiasmus für die Kultur. Alle großen Firmen, das ganz große Geld und die bedeutendsten Architekten der Welt bauen hier eine neue Stadt. Und gleichzeitig haben die Deutschen beschlossen, ihren Kulturetat zu kürzen. Das zeigt, daß Deutschland sich der Aufgabe, seine eigene Kultur wiederzubeleben und seinen Anteil zur Weltkultur beizutragen, nicht bewußt ist. Es zeigt, daß Deutschland seine Kraft allein im Bereich der Wirtschaft sieht. Und das ist ein sehr schlechtes Zeichen, ein gefährliches. Denn das bedeutet, daß es hier nur ums Geld geht und nicht um Ethik oder Moral.

Wie lange gilt Ihr Vertrag?

Auf Lebenszeit. Deshalb sind mir die Schwierigkeiten gleichgültig. Für mich ist das kein Job, sondern eine Mission.

Das Gespräch führte Claudia Hart

Übersetzung: Jörg Häntzschel