Lahme geht

■ Volleyball-Kapitänin Susanne Lahme schweigt sich über ihren Rücktritt aus

Weiß jemand, wie es Susanne Lahme im Moment geht und, vor allem, wie es weitergehen soll mit ihr? Volker Spiegel, der bei ihrem früheren Verein CJD Berlin ihr Trainer gewesen ist, sagt: „Sie ist abgetaucht. Sie läßt keinen an sich ran. Es ist sehr traurig.“ Bernd Büsken, der Teammanager der Frauennationalmannschaft, sagt: „Wir sind ganz gut miteinander befreundet. Aber im Moment habe ich keinen Kontakt.“ Siegfried Köhler (50), der Bundestrainer, sagt: „Wir wissen überhaupt nicht, wie es um Susanne wirklich steht.“

Susanne Lahme (26) sagt nichts über Susanne Lahme. Das letzte, was ihre Mitspielerinnen von ihr erfahren haben, war das, was in einem Fax an Siegfried Köhler stand, auf den Weg gebracht vor zwei Wochen. „Trotz der schönen Erfolge in den letzten neun Jahren muß ich Dir heute mit diesem Brief mein Ausscheiden aus dem Team bekanntgeben“, hat sie geschrieben. Seitdem schweigt sie. Neulich haben die Nationalmannschaftskolleginnen Ines Pianka und Constanze Radfan bei ihr zu Hause in Italien angerufen, wo sie seit zwei Jahren lebt und als Profi Volleyball spielt, aber sie hat ihren Freund ans Telefon geschickt. Viel gebracht hat das Gespräch nicht. Köhler, Pianka, Radfan und die anderen sind allein aufgebrochen, um ab Samstag beim Grand Prix gegen die sieben weltbesten Teams anzutreten. Es ist eine Fahrt ohne Illusionen. „Wir werden uns ohne Susanne schon über Satzerfolge freuen müssen“, weiß Köhler.

Eine Beziehung ist zerstört, die zwischen Trainer und Spielerin über Jahre gewachsen war, die beide gepflegt und von der beide profitiert hatten. Früher, das war noch in der DDR, hat er ihr alles beigebracht, was man können muß als Volleyballerin; später, im vereinigten Land, hat sie ihn verteidigt, wann immer es nötig war. Viele Spielerinnen aus dem Westen haben sich beklagt über das langweilige Training und Köhlers autoritäres Gehabe. Susanne Lahme stand in alter Treue fest zum alten Coach. Während die Westlerinnen der Reihe nach zurückgetreten sind, ist sie sogar zu solchen Turnieren nachgereist, bei denen es um nichts ging. Am Ende hatte Köhler fast nur noch Frauen aus dem Osten in seinem Team, mit denen ist er im vergangenen Jahr Fünfter bei der WM geworden; alles hätte harmonisch laufen können wie zu alten Zeiten, und vielleicht hat der Coach darauf insgeheim auch spekuliert.

Aber die Zeiten haben sich geändert. Als die Frauen aus dem Westen weg waren, traten Brüche in der Einheit Ost zutage. Köhler hat nie behauptet, er habe sich leicht getan mit dem Wechsel von drüben nach hüben, und im weiß- rot glänzenden West-Trainingsanzug sieht er, der ewig den DDR- Blaumann getragen hatte, noch immer ein bißchen verloren aus. Susanne Lahme ist schon früher manchmal nebenberuflich als Model über einen Laufsteg geschwebt. In Italien hat sie gut verdient, eine neue Sprache gelernt, ihre volleyballerischen Fertigkeiten verfeinert: Neulich ist sie in die Weltauswahl berufen worden. Eine Karriere ist das, die einen selbstbewußt werden und Ansprüche formulieren läßt. Das hat Susanne Lahme getan, und damit kommt Siegfried Köhler nicht zurecht.

Es gibt einen Brief von ihr aus dem letzten Herbst, in dem sie das Training kritisiert. Später hat sie sich selbst eine Pause verordnet und ist nicht ins Trainingslager der Nationalauswahl gekommen. Um Geld geht es auch. Susanne Lahme und ihr Manager Hans Koster wollen 10.000 Mark vom deutschen Verband zurückhaben; eine Transfersummme, die ihr italienischer Club Sumirago im letzten Jahr überwiesen hatte. Die Situation ist schwierig, die einfachere Lösung wäre, sich von Köhler zu trennen. „Wenn einem die Spielerinnen weglaufen, ist der Trainer nicht mehr haltbar“, sagt Volker Spiegel vom CJD Berlin: „Wir Vereine kommen mit dem Produzieren nicht mehr nach.“ Aber, das weiß auch Spiegel: Köhler hat einen Vertrag bis September 1996, und der Verband kann es sich finanziell nicht leisten, ihn abzusetzen.

Doch der Grand Prix ist zweitrangig, auch die Europameisterschaft im September. Was zählt, ist die Olympiaqualifikation Anfang 1996 in Bremen. Bis dahin muß Susanne Lahme wieder dabei sein, weil die Deutschen ohne sie nicht bei der weltumspannenden Leistungsschau Olympia dabei sein werden. Und ohne Olympia, sagt Volker Spiegel, „ist unsere Sportart mausetot. Mausetot.“ Holger Gertz