Folien für ein gruseliges Amerika

■ Ich bin ein Bewohner der Horrorwelt – die Splatter-Comics des Raw-Zeichners Charles Burns, gebunden und übersetzt

Das Versöhnliche am Horror ist das garantiert Jenseitige seiner Schrecken. Jedes Monster, so schrecklich es aussieht und wütet, kann per Verstand ausgelöscht werden. In Charles Burns' Comics tritt das geradezu klassische Inventar solcher Horrorstories auf: Geistererscheinungen, Maulwurfsmenschen, ein Schatz, Menschen mit Psi-Kräften. Die Monster aber sind bei Burns harmloser als alle Menschen.

Zwei Geschichten mit dem Helden Big Baby sind im Band 1 der „Gesammelten Werke“ versammelt, ein reichlich pathetischer Titel für einen Autor, der gerade 40 geworden ist und dessen schmales ×uvre cirka 200 Seiten umfaßt. Aber offenbar sollte so der stattliche Preis gerechtfertigt werden. Big Baby ist ein harmloser, mondgesichtiger Junge, der sich seine Welt aus Horrorserien und -comics zusammenphantasiert und der zum Einschlafen das Babylicht braucht. Doch selbst das ist keine einfache Lampe, sondern eine böse Fratze mit herausgestreckter Zunge. Die Welt, in der er sich bewegt, hat als Folie Americana die Filmwelt der Fifties. Hier tragen die Mütter Fönfrisuren und züchtige Kleider, hier verschenken Väter Taschenmesser und fahren ihre Söhne in Ferienlager. Aber statt dem Wunschbild der heilen, „uramerikanischen“ Gesellschaft zeichnet Burns jene Apokalypse kleinbürgerlicher Gewaltphantasien, wie sie in Oklahoma zutage getreten sind. Burns Americana- Welt ist von religiösen Fanatikern, eifersüchtigen Ehemännern und geilen Bademeistern bevölkert. In „Der Fluch der Maulwurfsmenschen“ ist es nicht ein Monster aus dem Erdreich, das den Tod bringt, sondern die dumpfe Eifersucht eines brutalen und betrunkenen Ehemanns. Aber wenn es auch reale Momente sind, die den Schrecken bringen, so bleibt Burns in den Grenzen des Genres. Am Ende der Geschichte hält Big Baby den leuchtenden Fortsatz einer Maulwurfsfrau in den Händen – die Option auf die Wirklichkeit des Schreckens. Burns verstreut allerdings ebenso eine Reihe von Anspielungen, daß all das Schreckliche nur der Phantasie von Big Baby entspringt: „Hier sieht es ja aus wie im Film“, sagt der Knabe über das, was er am Abend gesehen hat.

Die Geschichten von Big Baby gehören jedoch noch zu den konventionelleren im Werk von Burns, andere Geschichten haben derart groteske Momente, daß das Genre Horror nurmehr wie eine bloße Form erscheint (zum Beispiel im noch nicht auf deutsch erschienenen „Burn Again“).

Das Operieren mit den Mitteln eines Genres tritt auch im Zeichenstil von Burns hervor. Die Gesichter sind bei Burns wie ausgestanzt. Peinlich genau achtet er darauf, daß keine Spuren von Arbeit seinen Zeichnungen anzusehen sind. Nur Schlagschatten, kaum Schraffuren, die Welt ein einziges Schwarz, auf dem sich die weißen Linien nur mühsam behaupten. Die Comiczeichen, Schweißperlen und Speedlines, Bewegungslinien, benutzt er derart dick, daß sie nicht recht ernst zu nehmen sind, fast wie bloße Zitate wirken. Besonders auffällig sind die Gesichter. Neben den glatten stereotypen Americana-Gesichtern treten fette, schweinsäugige, alte, dumpfe Gesichter auf. Burns zeichnet dabei keine Ironisierung der Couch- Potatoes, sondern das Grauen in einer Kleinbürgerwelt. Der Schrecken ist nicht die Unterwelt, sondern die Vorstadt. Martin Zeyn

Charles Burns: „Gesammelte Werke I“. Edition Kunst der Comics, 1995, 49,80 DM.