Verfassungsfeind CSU

■ Verfassungsrichter geht mit Kritikern des Kruzifix-Urteils scharf ins Gericht

Berlin (taz) – Auch eine Woche nach Verkündung des Kruzifix- Urteils tobt der Streit um diese Entscheidung munter weiter. Während man in Bayern angestrengt darüber grübelt, wie das Urteil denn am besten zu umgehen sei, mahnte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Johann Friedrich Henschel, „Respekt“ vor der Karlsruher Entscheidung an.

Durch die Forderung mancher CSU-Politiker, das Urteil zu ignorieren, sieht Henschel den grundsätzlichen Konsens in der Gesellschaft in Frage gestellt.

„Wir verlassen die Grundlagen des Rechtsstaates“, warnte er, „wenn das Schule macht.“ Mit solchen Forderungen setze die Politik ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Wenn man die Nichtbefolgung eines verbindlichen Spruchs des Verfassungsgerichts verlange, könne man in anderen Fällen kaum noch die notwendige Befolgung eines Gesetzes klarmachen, das von der Mehrheit abgelehnt werde, sagte Henschel. Das Karlsruher Gericht könne sich bei einer Entscheidung ohnehin nur an der Verfassung orientieren und nicht daran, ob ein Urteil konsensfähig sei. Gegen das Urteil waren vor allem Vertreter der CSU zu Felde gezogen. Die bayerische Landesregierung läßt zur Zeit Gegenmaßnahmen juristisch prüfen.

Auch Forderungen, das BVerfG solle wichtige Entscheidungen künftig mit Zweidrittelmehrheit treffen, wies Henschel zurück. „Manche Politiker können möglicherweise nicht richtig rechnen.“ Im Hinblick auf das Kruzifix- Urteil wies er darauf hin, daß fünf von acht Richtern 62,5 Prozent ausmachten. Wie die 4,1 Prozent, die noch zur Zweidrittelmehrheit fehlten, zu einer größeren Akzeptanz des Urteils führen sollten, müßten die Politiker erst einmal erklären. mig