Wende im Balkankrieg

■ Der neue Risikofaktor heißt Kroatien

Franjo Tudjman, der kroatische Präsident, ist kaum weniger nationalistisch und kaum weniger kriegerisch als sein serbischer Gegenspieler Slobodan Milošević oder der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić. Seine außergewöhnliche Machtfülle und der Reichtum, den er sich und den Seinen in Zagreb zugeschanzt hat, passen nicht in das gern bemühte Bild des demokratischen Staatsmannes.

„Kroatien den Kroaten“ lautet Tudjmans Parole. Wo dieses Kroatien seine Grenzen findet, das läßt er gerade von seiner Armee ausloten. Mit der Eroberung der Krajina und der Befreiung Bihaćs von der serbisch-bosnischen Belagerung hatte er den besseren Moment und das Völkerrecht für sich. Massaker wie in Srebrenica und in Žepa gab es in der Krajina nicht, „ethnisch gesäubert“ aber ist die Region, und das nicht ohne Hilfe der kroatischen Armee.

Während Miloševićs großserbischer Nationalismus die wesentliche Ursache für den Zerfall Jugoslawiens ist und Karadžićs Nationalismus im Westen als psychopathisch eingestuft wird, wurde der Nationalismus der kroatischen Führung bislang bestenfalls als politisch kritikwürdig, aber durchaus verständlich angesehen. Bei dieser Sichtweise mußte man freilich schon beide Augen zudrücken. Der Exodus von 250.000 Serben aus Kroatien schon vor dem Krajina-Krieg und der bis 1994 dauernde, äußerst blutige Feldzug gegen die muslimischen Verbündeten in Bosnien haben schon einmal ein anderes Gesicht Kroatiens gezeigt.

Mit dem Verständnis für Kroatien könnte es jetzt vorbei sein. Alle Appelle zur militärischen Mäßigung scheint der Kroatenführer in den Wind zu schlagen. Die kroatische Armee marschiert auf die bosnisch-serbischen Artilleriestellungen im Hinterland von Dubrovnik zu. In Bosnien stehen kroatische Truppen als Eingreifreserve Gewehr bei Fuß. Und in Ostslawonien übt die Armee seit gestern wieder den Artilleriebeschuß.

Tudjman hat Kroatiens politischen Spielraum militärisch ausgebaut. Die internationale Gemeinschaft wird ihre Verhandlungsvorschläge wie bisher dem Kriegsverlauf anpassen müssen. Und dabei in Zukunft häufiger in Kroatien als in Serbien auf Granit beißen.

So wie die Serben zuvor mit den Beschlüssen der Weltgemeinschaft umgesprungen sind, so könnte es Tudjman nun mit den internationalen Vermittlungsvorschlägen halten. Nichts offen ablehnen, Zeit gewinnen, Fakten schaffen. Nun droht Kroatien, zum neuen politischen Risikofaktor auf dem Balkan zu werden. Georg Baltissen