Die Rolandschikane

■ Vergeßt die ollen Rollschuhe: Inline-Skater machen bis zu 70 Sachen

„Scheiß Inline-Skater!“ Die Flüche hallen im Rund der Betonarena wider. „Inline-Skater! Ha! Das ist doch was für Nichtskönner!“ Inline-Skating – Haßsport Nr. 1 in Deutschland?

Nur wenn man passionierter Skateboarder ist. Dann schaut man verächtlich auf die „Kids“ herab, die doch tatsächlich und kackfrech mit ihren neuen Rollschuhmodellen auf den offiziellen Skateboard-Parcours rumflitzen. Bzw. man rauscht verachtungsvoll an ihnen vorbei. Jérome und Nils, Klasse acht bzw. fünf, ist das wurscht. Die Flüche prallen an ihnen ab wie Skateboarder an der Halfpipe. Da stehen sie doch drüber. Eben rollt wieder ein Großer mit seinem Rollbrett heran. „Skateboardfahrern ist viel schwieriger, das hast Du nicht in zwei Wochen drauf!“ – „Stimmt!“ gibt Jérome Kontra. Eben drum ist er ja auf die Rollschuhe umgestiegen: „Das geht viel leichter, und man tut sich nicht so weh.“ Das sitzt.

Es gibt auch andere Gründe, warum „Inline-Skating“ sich auf Deutschlands Straßen und Plätzen ausbreitet. Rollschuhfahren – „Rollerskating“ – sei einfach „durch“, sagt Sven Leiberg vom Bremer „Skateladen“. Jetzt müsse eben einfach was Neues her, oder doch was nahezu Neues. Die „Inline-Skater“, eine Art Skistiefel mit Rollen dran, liegen da gut im Trend: Sie sind schicker und schneller als die ollen Rollschuhe, sie machen mehr her, und ringsherum kann die Industrie einen weit ausladenden Zweig an Zubehör und Sportswear basteln, den die Kids freilich gekonnt verschmähen: Wozu teure Wit-Boy-Hosen? „Da hol' ich mir lieber welche für 49,90 bei H & M“, sagt Nils, der stattdessen profimäßig 400 Mark in ein paar gute Rollschuhe investiert. Aber niemand auf der Bahn braucht den Modekram.

Vor allem aber braucht ein Inline-Skater keinen Verein und keinen Führerschein. „Morgens aufstehen und einfach losrollen“ – was Sven Leiberg, mit 27 Jahren immer noch aktiver Skater, über den ganz privaten Spaß am Skateboardfahren sagt, gilt auch für den rollenden Nachwuchs. Jérome und Nils trudeln meist am späten Nachmittag auf dem Platz am Schlachthof ein. Freunde treffen, Tricks probieren. Oder in die Stadt gondeln. Die amtlichen freigegebenen Plätze sind ja schön und gut. Aber „samtags nach Ladenschluß in der City“, da rollt es sich erst richtig rasant.

Drei- bis vierkäsehoch erprobt das Rollkommando dann die Ecken und Kanten der Stadtarchitektur auf ihre Freizeittauglichkeit. Es gibt z.B. klasse „Geländer, wo man grinden kann“, d.h. mit den Kufen draufrumschlittern; es gibt klasse Treppenstufen, wo man einen gewagten „One-Eighty“ springen kann, d.h. eine Drehung um 180 Grad im Kreise. Am perfekt gestandenen „Three-Sixty“ üben Nils und Jérome noch. Eine schöne Schikane stellt der Roland dar; auch Ruhebänke bekommen eine völlig neue Funktion und Qualität unter den Füßen der Inline-Skater. Wer rasen will – bis zu 70 Sachen sind beim „Speedskating“ drin –, dem sei die Lloyd-Passage („gut gepflastert“) als Anlaufstelle empfohlen.

Dabei ist Bremen ja eigentlich eine denkbar unfreundliche Stadt für alle Rollsportler. „Das blöde Kopfsteinpflaster“, sat Jérome. Andererseits: die Deiche, die langen und immer langen. „Rings um den Werdersee“, weiß man im Fachhandel zu erzählen, brummen ganze Kleinfamilien mit Kind im Roller-Look herum. Und erst im Umland! „Unsere älteste Kundin ist über 60“, sagt Sven Leiberg; „die geht immer mit ihrem Hund am Osterdeich skaten“. Wie überhaupt viele Menschen eher mittleren Alters den neuen Fahrspaß quasi „statt Jogging“ betrieben. Ohne Stunts, ohne Tricks: „Die breite Masse rollt einfach.“

Nichts für Nils und Jérome. Die probieren lieber neue Handstände und Flugfiguren aus. Im Schneidersitz über die Rampe! Eben „Tricks, die nicht jeder kann“, sagt Jérome. Schon schwappt wieder Hohngelächter von der Bretterfraktion herüber. Aus Trotz führt der Inline-Skater seinen schönsten Handstand vor. Der Rest schaut betroffen weg. Da gibt's nichts mehr zu meckern. Vielleicht holen sie morgen doch mal heimlich ihre Rollschuhe unterm Bett hervor. tw