Keine Sintflut in Berlin

Die Spree führt nicht genug Wasser / Ein Zehntel des Berliner Grundwassers ist so verschmutzt, daß es nicht als Trinkwasser verwendet werden darf  ■ Von Matthias Fink

Das macht doch nichts, das merkt doch keiner: Wasser ist ein wertvoller und knapp bemessener Rohstoff, mahnen die Plakate in den U-Bahnen. Im Alltag machte sich allerdings noch kein Wassermangel bemerkbar, und auf den ersten Blick ist Berlin mit dem klaren, kühlen Naß auch ausreichend versorgt. Die Spree-Metropole ist nicht wie andere Großstädte auf Fernwasserleitungen angewiesen. In den letzten Jahren ist der Grundwasserspiegel sogar gestiegen – bis in manchen Rudower Keller. Gibt es in Berlin in Wahrheit zuviel Wasser?

Eine ausreichende Wasserführung ist in Berlin nicht selbstverständlich, denn die Spree erhielt in den letzten Jahrzehnten ihre Zuflüsse vor allem durch die Grundwassersenkung im Lausitzer Braunkohlebergbau. Da man den Abbau reduziert, wird weniger Wasser abgepumpt und in die Spree geleitet. Daher wird in der Nähe von Hoyerswerda bis 1998 das Staubecken Lohsa II gebaut. Sein Inhalt soll zu trockenen Zeiten spreeabwärts fließen, um den Wasserspiegel aufzubessern.

Bei geringen Ressourcen macht es einen Unterschied, ob das gereinigte Abwasser vor oder hinter der Stadt wieder in den Fluß zurückläuft. So haben die Berliner Wasser-Betriebe (BWB) vorgeschlagen, die Kläranlage Waßmannsdorf, die bisher in den Teltowkanal entwässert, statt dessen mit der Spree bei Köpenick zu verbinden. Die verfeinerte Technik mache diesen Kreislauf vertretbar: „Man verbessert die Klärwerke und kann dann die Einsatzmöglichkeiten des Wassers erhöhen“, resümiert Wolfgang Goßel von der Wassergruppe des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Mit bisherigen Klärwerken könnte man fast schon Brauchwasser herstellen, für das man eigene Netze schaffen könnte.“

Explosionsgefahr durch Lösungsmittel

Früher war alles viel einfacher. Das Klärwerk Ruhleben leitet seit den sechzigerJahren das gereinigte Abwasser nicht direkt in die nahe Spree oder die Havel. Nein, es wurde eigens eine lange Rohrleitung gebaut, die das unsaubere Wasser in den Teltowkanal führt. Damit wurden die Trinkwasseranlagen und die Badegäste an der Havel und ihren Seen geschont. „Die Wasserqualität unterhalb Berlins ist erheblich schlechter als oberhalb“, weiß Goßel.

Nicht abbaubare organische Stoffe und Schwermetalle kann auch die beste Kläranlage nicht beseitigen. Trotz anscheinend wachsenden Umweltbewußtseins hat sich das Verhalten der VerbraucherInnen jedoch nicht verändert: „Es gibt immer noch zu viele Leute, die zuviel Waschpulver verwenden oder glauben, daß Weichspüler etwas Positives ist“, meint Gabriele Starnick, Assistentin der „Wasserkampagne“ bei Greenpeace. Auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gehe nicht in erster Linie auf das Konto der Landwirtschaft. „Der unsachgemäße Umgang mit Pestiziden in Kleingärten ist relativ groß“, sagt sie. Eike Krüger, Öffentlichkeitsreferent der BWB, verweist zudem auf „Gefährdungen für die Mitarbeiter“ seines Betriebes. „Lösungsmittel vom Heimwerken bedeuten Explosionsgefahr in den Abwasserrohren.“ Andere Gefahren sieht er, wenn Wischlappen, Katzenstreu oder Fette in den Toiletten verschwinden. „Durch Ablagerungen können sich die Kanäle schließen, dann gibt es Überschwemmungen, vor allem im Parterre.“ Bis in den vierten Stock hingegen könnten die Ratten heraufkommen, die die Abfälle in der Kanalisation fressen und sich dort ansiedeln.

Berliner Kanalisation bis 2000 vollendet

Auch Autowaschen im Freien ist, so Krüger, immer noch „in hohem Maße anzutreffen und absolut umweltbeeinträchtigend“. Wie der Umweltfrevel sich genau auswirkt, hängt vom Stadtteil ab. In den inneren Bezirken wird das gesamte Abwasser einheitlich im „Mischsystem“ abgeleitet und zur Kläranlage geführt. Das System hat aber Notauslässe, die bei starkem Regen geöffnet werden und das Wasser ungeklärt in Flüsse, Seen oder Kanäle hinauslassen. In den äußeren Gebieten Berlins wird das „Trennsystem“ praktiziert. Hier führen eigene Leitungen das Regenwasser aus den Gullys oftmals ungeklärt in die Gewässer.

Fast die Hälfte des Berliner Trinkwassers wird aus dem Uferfiltrat der Flüsse gewonnen. Bei dieser Technik werden Brunnen in der Nähe der Gewässer benutzt. Ähnlich funktioniert die – weniger verbreitete – Versickerung von Oberflächenwasser. Zweites Standbein der Berliner Wassergewinnung ist das Grundwasser. Die Entnahmestellen liegen fast alle im Berliner Stadtgebiet oder knapp außerhalb. Die unterirdischen Wasserströme kommen jedoch von weiter her. Im Nordosten reicht das Einzugsgebiet bis hinter Bernau und Werneuchen. Der größte Teil des Gebietes dient der Trinkwasserversorgung, lediglich ein Dreieck zwischen Lichtenrade, Schöneberg und Malchow wird von der Industrie ausgesogen.

Schon heute ist ein Zehntel des Grundwassers im Berliner Einzugsgebiet zu stark verschmutzt. Es darf nicht als Trinkwasser verwendet werden, sondern wird in die Gewässer geleitet. Viel größer ist der Anteil des Grundwassers, der als gefährdet gilt. Wolfgang Goßel vom BUND: „Die 40 Prozent, die offiziell genannt werden, sind nach unseren Erkenntnissen die Mindestmenge des gefährdeten Grundwassers. Dieser Anteil ist schon jetzt verschmutzt, hat aber die Brunnen noch nicht erreicht. In spätestens fünfzig Jahren dürfte es soweit sein.“ Eike Krüger von den BWB sieht bei den 40 Prozent nur eine „potentielle Gefährdung“. Die Verschmutzung des Grundwassers sei „nicht in jedem Fall absehbar. Die Einstufung bedeutet lediglich, daß dort Altlasten saniert werden müssen.“

Besonders abträglich für das Grundwasser ist die Situation in ländlichen Vororten wie Kladow, Heiligensee, Rahnsdorf oder Staaken. In diesen Vororten liegt – zumindest in Teilbereichen – noch keine Kanalisation. Entsorgt werden dort die Haushaltsabwässer über Sickergruben. Diese werden zwar regelmäßig geleert – aber, so Wolfgang Goßel vom BUND: „Sickergruben haben immer ein Loch.“ Bis 1998 sollen in den wasserwirtschaftlichen Vorranggebieten, die für die Grundwasserförderung besonders wichtig sind, die Abwasserrohre verlegt sein. Zwei Jahre später will man die Berliner Kanalisation vollendet haben, 122 Jahre nach Fertigstellung des ersten Abschnitts.

Wenn Schadstoffe erst einmal im Boden sind, kann das Ausmaß der Wassergefährdung durchaus noch beeinflußt werden. Wo viel Wasser gefördert wird, beschleunigt sich die Strömung des Grundwassers – und die Altlasten werden schneller im Boden verteilt. Der BUND fordert schon aus diesem Grund, die Verwendung von Grundwasser um die Hälfte zu reduzieren. Eine weitere Warnung vor dem fortgesetzten Raubbau am Grundwasser sind die Dürreschäden in der Vegetation. Durch die Lage im sumpfigen Berlin- Warschauer Urstromtal sind die Stadtteile an Spree und Havel weniger von der Austrocknung betroffen als die Höhenrücken von Teltow und Barnim, die außerhalb der Stadt ihre höchsten Erhebungen haben.

Vorerst hat sich die Situation entspannt. Um bis zu 140 Zentimeter, so Krüger, haben sich die Grundwasserstände in Berlin und dem Umland erhöht. Im Vergleich zu 1959 liegt der Spiegel in Westberlin jedoch durchschnittlich etwas tiefer als damals.

Die Neubildung des Grundwassers freut nicht diejenigen, die die Ressourcenvernichtung für irreversibel hielten und darauf gebaut haben. Vor allem in Kaulsdorf und Rudow gibt es viele nasse Keller. Wasserbetriebe und Verwaltung weisen die Schuld von sich. „Die Häuslebauer haben sich oft nicht an den höchsten Grundwasserständen orientiert, die jemals gemessen wurden“, erklärt Eike Krüger von den BWB. Jens Thierbach, bei der Senatsumweltverwaltung für Grundwassermessungen zuständig, betont: „Kein Wasserwerk ist rechtlich verpflichtet, nur zu fördern, damit das Grundwasser niedrig bleibt.“

Berliner verbrauchen weniger Wasser

Der gesunkene Verbrauch, hinter dem sich auch viele Fabrikschließungen im Osten verbergen, könnte in den Statistiken noch stärker hervortreten – wären da nicht die vielen Baustellen, bei denen das Grundwasser künstlich abgesenkt wird.

Sichtbar gespart haben indes die Privathaushalte. 1990 verbrauchten sie pro Berliner Kopf und Tag 160 Liter, letztes Jahr waren es nach Angaben von Krüger nur 130. Die Wasserwerke führen dies nicht nur auf ihre Kampagnen, sondern auch auf die erhöhten Wasserpreise zurück. „Die Lippenbekenntnisse werden jetzt umgesetzt“, bewertet Krüger das Verhalten der KundInnen.

Aber haben die BerlinerInnen wirklich durch dauerhafte Sparsamkeit den Grundwasserspiegel hochgetrieben? „Wir führen den Anstieg rein auf die Witterungsverhältnisse zurück“, sagt Wolfgang Goßel vom BUND. „In den letzten Jahren hat es im Frühjahr viel geregnet, da war die Entnahme nicht so groß wie sonst. Und so extrem hoch war der private Verbrauch im Osten früher auch nicht. Die Zahlen, die kurz nach der Wende veröffentlicht wurden, waren übertrieben.“ Jens Thierbach von der Umweltverwaltung sieht das anders. „In Ostberlin ist der Verbrauch seit der Wende um die Hälfte zurückgegangen.“ Zwar seien die genauen Zahlen aus der DDR-Zeit nicht allzu zuverlässig, aber nur am Wetter könne es nicht liegen, daß der Grundwasserspiegel gestiegen ist. „So katastrophal stark waren die Niederschläge in den letzten Jahren nicht.“