Prima Spielzeug für fünf Mark

Wer ein paar Stunden in der Kneipe sitzt, dem bieten fliegende Händler allerlei merkwürdige Dinge an  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

„Aktiv-Kunden“ gehen in den „Kaiser's Club“ oder machen Telefonsex; die Doofen sitzen vor dem Fernseher. Die Kneipe aber ist besser als Teleshopping. Wer ein paar Stunden in der Kneipe sitzt, begegnet vielen Vertretern, die alles Mögliche anbieten: Bier, goldene Ringe, Zeitungen, allerlei chinesisches Spielzeug, seltsame Feuerzeuge, Brezeln, selbstgemachte Haschischpfeifen, Bücher, die keinen interessieren, Gedichte, die keiner hören will, selbstgedrehte Kerzen, die nie brennen werden. Und Polaroidfotos, die den Abend, der ja eigentlich noch da ist, zur schönen Vergangenheit erstarren lassen, in der man Wange an Wange oder auch nicht mit einem besonders sympathischen Menschen zusammensaß und lächelte. Und natürlich Rosen. Tausend Rosen.

Es ist nicht ganz einfach, mit den Händlern ins Gespräch zu kommen, zu erfahren, woher sie kommen, wohin sie gehen. Die Dialoge, die sich zuweilen entwickeln, sind meist denkbar knapp: „I am Bangladesh.“ – „I am Germany.“ Leicht bilden sich Mythen. So fragt man andere. Biblab Bazu zum Beispiel, den stets eleganten parteilosen Ausländerbeauftragten der PDS, der gerne von haus- oder zumindest büffelgroßen bengalischen Tigern erzählt, die sich einen Spaß daraus machen, unvorsichtigen Bootsfahrern die Hände abzureißen oder sie gleich ganz zu verschlingen. Biblab Bazu jedenfalls sagt, daß die Zeitungsberichte, in denen von mafiaähnlichen Strukturen im Blumenverkaufsgewerbe die Rede wäre, eine „große Lüge“ seien. Es sei viel einfacher: Die Rosenverkäufer arbeiteten auf eigene Rechnung und kauften ihre Waren meist in dem Blumenladen beim S- Bahnhof Friedrichstraße.

Irgendwie ist es kompliziert, wenn ein netter Rosenverkäufer an den Tisch kommt. Denn nur selten braucht man Rosen, oft hängt man ja auch ganz allein rum oder mit Leuten, denen man keine Rosen schenken mag, oder man will noch ein paar Stunden weiterziehen und weiß dann gar nicht, wohin mit den Blumen. Jedenfalls würde man ihnen gerne Geld geben. Doch das geht wiederum gegen die Ehre des Rosenverkäufers, den es erniedrigen würde, wenn man ihm ohne Gegenleistung Geld geben würde. Und deshalb ist das oft traurig.

Manchmal kommen auch Leute, die stellen auf jeden Kneipentisch possierliche Spielzeughunde und legen einen Zettel daneben, auf dem steht, daß sie taub und stumm seien und Geld bräuchten. Manchmal drückt einem auch jemand was in die Hand, wie neulich ein junger Rumäne, der mich in der Friedrichstraße anhielt, um mir mit flehendem Blick einen goldenen Ring in die Hand zu drücken. Und mit seiner Hand meine Hand zusammendrückte, daß ich ihm den Ring nicht einfach zurückgeben konnte. Er hätte seit zwei Tagen nichts gegessen, sagte er und wollte zunächst 20, dann 8 Mark für den Ring haben. Und der Ring war wirklich scheußlich. Am Ende gab ich ihm 2 Mark, ohne den Ring zu nehmen, und schämte mich, und er schaute so, als hätte ich ihn furchtbar beleidigt, und ich dachte, daß doch alles viel zu kompliziert ist.

In letzter Zeit haben sich auch viele auf den Verkauf kleiner verspielter Dinge – aus China vor allem – spezialisiert: Aus ihren Plastiktüten ziehen sie kitschig- schöne Glühfeuerzeuge, die minimalistische Melodien spielen, wenn man sie anmacht. An den Seiten der Feuerzeuge, die es auch in irgendwie barocken Drachenformen gibt, kleben oft schöne leicht bekleidete Frauenbilder. Kleine Handventilatoren, mit denen man auch Sahne schlagen kann, und vor allem prima Spielzeug für fünf Mark: psychedelische Kreisel, die leuchten und Ambient Music machen, wenn man sie dreht, oder auch Vögel, deren Schwergewicht auf der Schnabelspitze liegt, so daß man sie auf der eigenen Nase, dem Kopf oder auf den Fingerspitzen herumschweben lassen kann. Das chinesische Spielzeug ist jedenfalls ziemlich toll!

Schön, interessant und sehr urban ist die Welt des nächtlichen Handels. Kichernde Teenies wollen einem an der Oranien-/Ecke Friedrichstraße bunte Uhren für sechs Mark verkaufen. Der Haschpfeifenverkäufer, der für seinen Freund, einen enthusiastischen Haschpfeifenbauer, Haschpfeifen in allen Formen und Größen verkauft, ist Nikotingegner. Prima sind oft aber auch die, die einfach so um Geld bitten. Die „Punks“ am Halleschen Tor, die viel fröhlicher aussehen als die Hertie-Kunden, die sie um Geld bitten, oder auch Zora, eine junge „Punkerin“ (die übrigens verneinte, ein Punk zu sein – sie sei ganz einfach sie selbst), die im besetzten Haus in der Linienstraße 158 wohnt und sehr nett ist. Ihr Knie war noch verbunden, weil ein fieser Bulle bei den Chaostagen draufgehauen hatte. Das Geld, was sie zum Leben braucht – fünf Mark am Tag und wenn ihr Hund mal zum Tierarzt muß zwanzig – verdient sie sich mit Schnorren am Rosenthaler Platz. Als ich sie fragte, was sie machen würde, wenn sie viel Geld hätte, überlegte sie sehr lange, so als hätte sie noch nie darüber nachgedacht. Dann sagt sie: „Ich würde erst mal einen Essensvorrat kaufen für mich und meinen Hund. Dann einen saufen gehen vielleicht. Jedenfalls: einfach verprassen.“