Village Voice: Madonna als Rausschmeißer
■ Affirmative Highwaymusik von Hard Travelin'; hörbarer Industrial von Park
Hard Travelin'? Und wie. Seit nunmehr fünfzehn langen Jahren spielen die vier Zehlendorfer in westdeutschen Fußgängerzonen und auf französischen Dorfplätzen, um sich den Sommerurlaub am Mittelmeer und ein hartes Zubrot zu verdienen. Zwischen Country light, Softfolk und lauem Mainstream-Pop bewegt sich ihre technisch sauber gemachte und nett produzierte Musik. „Don't Fall Asleep“, ihr Debüt-Album, besticht hauptsächlich durch Unauffälligkeit: entspannte Gesänge, angenehm arrangierte Gitarren und mittelmäßige englischsprachige Texte. Nur die Cover- Version von Madonnas „Like a Virgin“ fällt völlig aus dem Rahmen und ist eher tauglich für den Einsatz auf lauten Partys ab vier Uhr morgens – als Rausschmeißer, garantiert wirksamer als drei Heino-Platten oder eine SNAP- Maxi im Exterminator-Remix. Außerdem importieren Hard Travelin' mit ihrem Sound genau das Modell amerikanischer Highwaymusik, das die Talking Heads in ihrem „True-Stories“-Film affirmativ auf die Schippe nahmen, um es dann für immer zu den Akten zu legen.
Zwar soll es immer wieder Wunder geben, doch wenn sich Hard Travelin' nicht sehr bald etwas einfallen lassen und am nächsten Truckstop eine doppelte Portion FSK mit Leberkäse ordern, werden sie bis ans Ende ihrer Tage und Nächte für einen Kasten Bier im Café Swing am Nollendorfplatz spielen, auf IA auftreten und im Vorprogramm von Acts wie Purple Schulz und Luciletric Open-air-Festivals in der Provinz bestreiten müssen.
In freier Abwandlung einer dummen Spießerparole ließe sich vorsichtig behaupten: Wer mit spätestens Anfang Zwanzig kein Teil einer jugendlichen Subkultur sein will, dem fehlt etwas – wer mehr als zehn Jahre später immer noch dabei ist, hat hingegen nicht viel verstanden. Eines der zahllosen Beispiele für dieses regredierende Versacken im Sumpf der örtlichen Szene ist neben „Bubizin/Mädizin“ aus dem Maas Verlag Max Müllers aktuelles Album, das höchstens als mahnende Restrospektive den nachwachsenden Jungbohemiens und -bohemiennes eine deutliche Warnung sein sollte.
Anders Remo Park, der auch so ein lokaler Held der Achtziger war. Er blieb als Gitarrist mit Die Haut, Lydia Lunch, Nick Cave und allem, was Rang und Namen hatte, kein Unbekannter in dieser Stadt. Park, sein neues Projekt, widmet sich mit „Aviator“ dem Neo-Industrial und kommt um einige Grade härter rüber als sein vor fünf Jahren erschienenes Solo-Album „Lying in Ambush“. Also: Verzerrte Vocals, Metal- Gitarren, gutes Sampling und solide Programmierarbeit.
Park klingt allerdings nicht nur leicht nach Ministry, sondern präsentiert auch den inzwischen sogar von den Disposable Heroes of Hiphopricy („Spare Ass Annie“) und dem seligen Kurt Cobain („The Priest They Called Him“) angezapften Sprechapparat der omnipräsenten Underground- Ikone William S. Burroughs. Nebenbei: Was hat Stephen Hawking damit zu tun? Dennoch macht „Aviator“ trotz seines Konzeptcharakters Industrial endlich für all jene hörbar, denen „To the Hilt“ aus den Ohren quillt und für die auch „III-Odyssee of the Mind“, das neueste Produkt der Stahlwerker und Eisenflechter von den Krupps, wegen überdumpfer Härte nicht in die Tüte kommt. Selbst für zu Technofreaks mutierte ehemalige Punkfans ist etwas dabei. „United Brains“, eine fiese Up- Tempo-Nummer, hat den Titel „Brett“ verdient. „Aviator“ mag zwar den Puristen als Versuch erscheinen, auf den „Industrial-Metal“-Zug aufzuspringen, ist aber eine der wenigen interessanten Berliner Produktionen dieser Saison. Remo Park bietet weitaus Spannenderes als zum Beispiel der „New-Industries“-Sampler, der außer Material von ohnehin bekannteren Formationen (Swamp Terrorists, Krupps) zwei gute Tracks von Coptic Rain und einen schlechten von Oomph! präsentiert. Gunnar Lützow
Hard Travelin': „Don't Fall Asleep“ (Inferno/Pool)
Park: „Aviator“ (Intencity/ EFA)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen