Balanceakte

Ostberliner Kleinverlage und ihre Überlebensstrategien  ■ Von Peter Walther

Anders als die ehemaligen Staatsverlage der DDR, die sich nach dem wirtschaftlichen Umbruch von 1989/90 zumeist im Schoß eines finanzkräftigen Investors wiedergefunden haben, müssen die meisten neuen Verlage im Osten noch heute mit Geldsorgen leben. Fünf Jahre nach dem Neubeginn zeichnet sich ab, wer den Balanceakt geschafft hat, zugleich gute und verkäufliche Bücher zu machen.

Basis Druck gehört zu den bekannteren Neugründungen. Im Dezember 1989 rief der Verlag in der damals noch bestehenden DDR zu Spenden für eine erste vom Staat und den Parteien unabhängige Wochenzeitung auf. Binnen weniger Wochen kamen über 50.000 Mark zusammen, die ausreichten, um eine erste Nummer der Zeitschrift die andere zu produzieren. Wirtschaftlichen Erfolg hat jedoch nicht die Zeitschrift gebracht – sie mußte 1992 eingestellt werden –, sondern ein Buchtitel, der über Monate Bestseller war: die Weisheiten von Stasi-Chef Mielke. Mit dieser Dokumentation hatte sich der Verlag die Grundlage für weniger einträgliche Buchproduktionen erwirtschaftet. Auf dem Programm stehen Bücher zur Zeitgeschichte, Dokumentationen vor allem zur DDR, aber auch die Gefängnisschriften von Nikolai Bucharin, die erst 1991 in Stalins Geheimarchiv geborgen wurden und hier zum ersten Mal erschienen.

Ställe ausmisten, Klinken putzen

Schon im letzten Jahr verlegte Basis Druck die Texte von Helmut Höge. Höge präsentiert das bizarre Nebeneinander der unterschiedlichen Lebenswelten und Geschichtserfahrungen in Ost und West. Anders als die Bewunderer ostdeutscher Kopfsteinpflaster- Romantik taucht er selbst ein „in die Kämpfe unserer Zeit“ (um mit Hermann Kant zu sprechen). Wen etwa interessiert, wie Höge in der heruntergekommenen LPG „Florian Geyer“ in Saarmund für Ostmark Rinderställe ausmistet und der exotischen Tat wegen von der ganzen Kreuzberger Mischpoke besucht wird, der sollte sich an die Monatsschirft Sklaven halten, die bei Basis Druck erscheint. Die Sklaven sind keine leichte Kost für gemütliche Feierabendstunden, sondern ein Bildungsblatt für Dichter und Anarchisten. Texte von Franz Jung und Erich Mühsam, Beiträge zur Geschichte der birmanischen Währung stehen neben den Gedichten von Bert Papenfuß und Volker Altwasser. Von der Verlagsarbeit allein kann niemand bei Basis Druck leben. Die Mitarbeiter gehen nach wie vor Klinken putzen, um Druckkostenzuschüsse einzuwerben. Über vierzig Titel sind auf diese Weise in den letzten fünf Jahren zustande gekommen.

Die Idee, einen eigenen Verlag zu gründen, kam Gerhard Wolf schon zu DDR-Zeiten. Damals schuf er im Aufbau-Verlag als Herausgeber der Reihe „Außer der Reihe“ eine erste größere Publikationsmöglichkeit für die Prenzlauer-Berg-Szene. Als die Reihe nach zwölf Bänden aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt wurde, gründete Wolf 1990 Janus- Press. In der DDR hatte er lange Zeit freischaffend als Publizist, Lektor und Herausgeber gearbeitet. Es sind jedoch nicht nur die alten Kontakte zur Szene, die Wolf für seine Arbeit nutzt, sondern auch die persönlichen Beziehungen zu Künstlern und Schriftstellern, mit denen er und Christa Wolf im Laufe der Jahrzehnte zusammengearbeitet haben.

Experimentelle Literatur in Verbindung mit bildender Kunst bestimmt das Programm von Janus-Press. Damit verbunden ist ein hoher gestalterischer Anspruch. Die unverwechselbare Schrifttype, die der Verlag für alle seine Bücher verwendet, ist die von otl aicher entworfene „rotis“. Kaum ein Buch erscheint ohne Zeichnungen, Malerei oder Collagen. Das hat auch einen wirtschaftlichen Grund: Zum einen können mit geringem Zusatzaufwand Vorzugsausgaben mit Originalgraphiken für zahlungskräftigere Kunden angeboten werden, zum anderen erscheinen die Bücher oft als durch Druckkostenzuschüsse geförderte Begleitbände zu Ausstellungen. Seitdem der Verlag unter der Obhut von Luchterhand steht und der Vertrieb über den luchterhandeigenen Verlag Volk und Welt läuft, sind die dringendsten wirtschaftlichen Probleme vom Tisch.

Älter als der Verlag gleichen Namens ist die Zeitschrift Kontext. Sie wurde 1988 von Bürgerrechtlern gegründet und mit Unterstützung der Kirche gedruckt und vertrieben. Ende 1990 mußte die eingestellt werden. Geblieben ist der Kontext-Verlag. Er bietet eine Auswahl sorgfältig edierter und gestalteter Bücher, etwa einen Band historischer Texte von Gustav Landauer, Zeitmitschriften von Wolfgang Ullmann oder Texte und Bilder von Antje Kahl und Johannes Jansen.

Die größte Beachtung fand ein Band, der Uwe Johnsons Beziehung zur DDR dokumentiert. Ein editorischer Glücksfall ist die Herausgabe der Schriften von Pawel Florenski. Der russische Philosoph, Kunsttheoretiker und Priester, der 1937 den „Säuberungen“ zum Opfer fiel, wird mit dieser Ausgabe erstmals einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt gemacht. In Rußland gehört Florenski gegenwärtig zu den meistdiskutierten Philosophen des frühen 20. Jahrhunderts. In welchem Tempo es weitergeht, hängt vor allem von der wirtschaftlichen Lage des Verlages ab. An der editorischen Sorgfalt und am gestalterischen Anspruch werden keine Abstriche gemacht, verspricht Metelka vom Kontext-Verlag.

Galrev, Kyril und Qwert Zui Opü

„Galrev“ heißt, umgekehrt gelesen, „Verlag“ und ist eine Gründung von einem Dutzend Leuten um Sascha Anderson, Egmont Hesse und Bert Papenfuß. Die Gründung von Druckhaus und Verlag kam im Frühjahr 1990 durch die Unterstützung von Künstler- und Schriftstellerprominenz und durch logistische Unterstützung von Steidl zustande. Von Beginn an spielte vor allem die zeitgenössische Lyrik eine zentrale Rolle im Progamm, seit kurzem verlegt Galrev auch Prosa. Was der Verlag an Verlusten einfährt, kann er durch seine Druckerei, Setzerei und Belichtung einigermaßen ausgleichen. Angeschlossen war zunächst das Café Kyril in der Lychener Straße, das nicht nur an den slawischen Apostel Cyrillus erinnert, sondern auch – als Palindrom gelesen – „Lyrik“ heißt. Seit einiger Zeit arbeitet das Café jedoch in eigener Regie.

Die meisten Bücher bei „Galrev“ erscheinen in einer Auflage von 500 bis 1.000 Exemplaren. Geschäftsführer Sascha Anderson ist auf mehrfache Weise in den Literaturbetrieb verwickelt: als Verleger, als Schriftsteller und als Person jüngster Zeitgeschichte, die inzwischen selbst wieder in die Literatur Eingang gefunden hat. Demnächst erscheint bei Galrev ein neuer Roman zum Thema Literatur und Staatssicherheit von Ulrich Zieger („Der Kasten“). Vor allem erscheinen hier Entdeckungen in der zeitgenössischen Lyrik oder Übertragungen von schwer zugänglicher ausländischer Dichtung. In der Edition „Qwert Zui Opü“ werden neue Texte etwa von Gerhard Falkner oder Peter Waterhouse mit Graphiken und Fotografien von Künstlern wie A. R. Penck, Klaus Theuerkauf und Bernhard Prinz herausgegeben.

Der Medienrummel im Anschluß an die Büchner-Preisrede von Wolf Biermann, worin er Anderson als Stasi-Zuträger entlarvte, hat dem Verlag Galrev ebenso geschadet, wie die Publicity ihm genützt hat. Nachdem Anderson als Folge von verlagsinternen Auseinandersetzungen zunächst das Feld räumen mußte, hatte er wenige Monate später seine alte Position wieder inne, was vor allem an seiner wirtschaftlichen Schlüsselrolle lag. Die Stasi-Vergangenheit ist für ihn zum privaten Problem geworden, im Alltag der Verlagsarbeit bleibt in der Regel keine Zeit, solche Konflikte auszutragen.

Als ostdeutsche Erfolgsstory gilt die Gründung des Ch. Links Verlags. Christoph Links, damals Mitarbeiter beim Aufbau-Verlag, hatte 1989 eine Sachbuchreihe angeregt, mit der auf die politischen Umbrüche aktuell reagiert werden sollte. Nachdem der Verlag abgewinkt hatte, machte sich Links im Januar 1990 selbständig und gründete mit einem Freund und zunächst 30 stillen Teilhabern die „LinksDruckGmbH“. Während der ersten Monate stand der Aufbau eines Vertriebsnetzes im Vordergrund, was sich als sehr weitsichtig erweisen sollte. So dauerte es fast ein halbes Jahr, bis der erste Titel erschien. Trotz zum Teil abenteuerlicher Bedingungen wurde dann innerhalb kurzer Zeit ein anspruchsvolles Programm mit zeitgeschichtlichen Dokumentationen, literarischer Publizistik und Text-Bild-Bänden auf die Beine gestellt. Als im Sommer 1991 die PDS mit dem Slogan „Links tut gut“ zur Wahl antrat, war es an der Zeit, geschäftsschädigende Mißverständnisse aus dem Weg zu räumen – aus LinksDruck wurde der Ch. Links Verlag.

Zu den Autoren gehören viele Generationsgenossen des Verlegers, die sich zumeist erst nach 1989 einen Namen machen konnten: Alexander Osang, Christoph Dieckmann und Lutz Bertram. Thematischer Schwerpunkt war zunächst die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, die nach wie vor einen Teil des Programms bestimmt, etwa mit der Reihe „Forschungen zur DDR-Geschichte“ oder mit einer neuen, vielversprechenden Reihe, die von der Abteilung Bildung und Forschung der Gauck-Behörde herausgegeben wird.

Gleichberechtig daneben stehen etwa ein Band mit Liedern und Texten von Heinz Rudolf Kunze sowie eine Neuerscheinung, die für einiges Rascheln im Blätterwald sorgen wird: Peter Köpfs Dokumentation über die personelle Kontinuität in der westdeutschen Presse nach Kriegsende. Eine thematische Beschränkung auf die DDR-Vergangenheit gibt es also nicht, immerhin werden bis zu drei Viertel des Umsatzes im Westen gemacht. Dennoch hat der erste wirkliche Verkaufserfolg wiederum mit der DDR zu tun. Die „Chronik der Wende“ wurde inzwischen 50.000mal verkauft. Auf diese Weise ist der Umsatz des Verlags im fünften Jahr seines Bestehens zum erstenmal auf über eine Million Mark gestiegen. Die vier Mitarbeiter, die über Jahre zu Selbstausbeutungsbedingungen gearbeitet haben, beziehen jetzt den tarifüblichen Lohn; mit über 75 bisher produzierten Titeln und 15 bis 20 Neuerscheinungen pro Jahr steht der Kleinverlag nicht schlecht da.

Konkurs mit Poet's Corner

Weniger gut sieht es mit der literarisch ambitionierten „Unabhängigen Verlagsbuchhandlung Ackerstraße“ (UVA) aus. Wie fast immer steht auch hier die ökonomische Lage im reziproken Verhältnis zur Qualität des Programms. Wichtige Autoren wie Adolf Endler und Peter Wawerzinek sind hier zu finden. Die Tradition des „Poesiealbums“, Gedichtauswahlhefte aus dem Werk je eines Dichters, die früher im Verlag Neues Leben erschienen waren, wird unter dem Namen Poet's Corner in gediegener Gestaltung fortgeführt. Sternstunden der Dichtung für 9,80 Mark das Stück, von August Stramm über Quirinus Kuhlmann bis zu Ossip Mandelstam. Vor kurzem hat die UVA Konkurs anmelden müssen, Matthias Oehme, einstiger Geschäftsführer der UVA und früher beim Verlag Neues Leben, leitet nunmehr den Verlag Eulenspiegel – Das Neues Berlin.