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„Wasser marsch!“

Von der Kloake zum Wasserwerk: In Friedrichshagen wird die Geschichte der städtischen Wasserversorgung ausgestellt. Ab 1859 tropfte der Hahn  ■ Von Rolf Lautenschläger

Ein paar grüne alte Bäume. Ein paar rote alte Hexenhäuschen. Dahinter ein Park von ländlicher Idylle, in dem große Backsteinbauten zinnenbewehrt, mit Rosetten verziert und von spitzen Bogenfenstern durchbrochen den Besucher empfangen. Doch was aussieht wie das Kirchenschiff einer märkischen Abtei verwandelt sich bei näherer Betrachtung. Ein Schornstein ragt neben dem Gebäude in die Höhe, Schöpfmaschinen und Pumpen, Antriebsräder und Dampfkessel, Werkskantinen, gekachelte Wände und ölglatte Fußböden geben dem Innern einen industriellen Charakter.

Die Industriekathedrale beherbergt das älteste Wasserwerk Berlins: das Pumpwerk Friedrichshagen am Müggelsee. Doch während die Wasserbetriebe ein paar Meter weiter in neuen Hallen Trinkwasser aus dem Boden pumpen und für den Berliner Bedarf aufarbeiten, sind die Pumpen in den gotischen Hallen zur Ruhe gekommen. In den Backsteinbauten hat sich das wiedereröffnete „Museum der Wassertechnik“ mit Zahlen und Figuren zur Geschichte der städtischen Wasserversorgung und Entwässerung eingerichtet. Nur „zu Demonstrationszwecken“ werden die haushohen Räder der Pumpen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert noch „angefahren“. Und staundende Schulklassen stehen still, wenn die Antriebsmaschinen losrattern.

Die Geschichte der städtischen Trinkwasserversorgung ist eine Geschichte der Technik, aber auch eine der Gesundheitsvorsorge und Stadthygiene. Setzt sie doch da ein, als der Gestank in den Straßen der sprunghaft wachsenden Metropole unerträglich geworden war und Epidemien grassierten. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die preußische Residenz zwar zum führenden Industrieort und mit fast einer Million Einwohner zur größten Stadt Deutschlands entwickelt. Eine moderne, fortschrittliche Stadt indessen war Berlin damit noch lange nicht.

Im Gegenteil. Die Mehrheit der Bevölkerung wohnte in unzumutbar engen Mietskaseren, ohne jeglichen sanitären Komfort. Die Wasserversorgung war in den neuerrichten Quartieren auf mittelalterlichem Niveau geblieben. Die Bewohner der Häuser bezogen das Trinkwasser aus Hofbrunnen. Fäkalien und Abfälle überschwemmten den Rinnstein. Frauen, „Nachtemmas“ genannt, entsorgten das Schmutzwasser und die Kacke in die Spree. „Die Spree betritt Berlin als Schwan und verläßt es als Schwein“, lautete damals ein Sprichwort.

Nicht der Magistrat der Stadt ging ab 1850 gegen die unzureichenden hyginischen Verhältnisse vor – ihm genügten die 85 öffentlichen Pissoirs und Plumpsklos (davon nur eines für Frauen) sowie zwei, drei Wasserklosetts im Schauspielhaus –, sondern Berlins Polizeipräsident Friedrich Hinckeldey drängte König Wilhelm IV. dazu, gegen die zum Himmel stinkenden Berliner Rinnsteine vorzugehen.

Noch 1852 konnte Hinckeldey im Auftrag der preußischen Staatsregierung einen „Contract“ mit den englischen Wasserunternehmern Charles Fox und Thomas Russell Crampton aus London abschließen, der vorsah, die Bezirke „mit fließendem Wasser zu versorgen“.

Mit der Inbetriebnahme des Wasserwerks vor dem Stralauer Tor, das über Schöpfmaschinen Wasser aus der Spree entnahm und mit Pumpen in die Versorgungsleitungen drücken konnte, begann die neue Zeitrechnung der Trinkwasserversorgung der Stadt. Ab 1859 galt „Wasser marsch“. Leitungsnetze wurden verlegt. 1860 erhielten die neuen Häuser im Köpenicker Feld Wasserleitungen in alle Stockwerke. Der anfangs zögerliche Anschluß an das Rohrnetz machte sich für die „Berliner Waterworks Companie“ bald bezahlt: Bis 1867 stieg der Pro-Kopf-Wasserverbrauch von 15 auf 100 Liter täglich.

Mit den englischen Wasserwerkern kam Henry Gill, der das Wasserwerk am Müggelsee konzipierte – neben den späteren Anlagen in Tegel, Lichtenberg, Charlottenburg und Spandau die älteste erhaltene Anlage.

Gill ging nicht zimperlich vor: 55 Hektar Wald bis hinunter zum Ufer des Müggelsees wurden gerodet. Das Werk legte er für eine Kapazität von 172.800 Kubikmeter Wasser pro Tag an. Er ließ das Schöpfwasser aus dem Müggelsee über Langsamsandfilter aus Kiesel und Sand sickern, um es zu reinigen. Über eine Druckrohrleitung gelangte das Trinkwasser in das Zwischenpumpwerk Lichtenberg und wurde von dort aus in das Leitungsnetz verteilt. Schon 1900 ging man in Friedrichshagen dazu über, Grundwasser statt leicht verschmutzten Oberflächenwassers zu entnehmen. Drei Galerien mit zusammen 350 Brunnen wurden dafür angelegt.

Die Wasserversorgungsgeschichte Berlins ist natürlich auch die der Teilung. Nach dem Mauerbau kappten die Wasserwerker die Leitungen an der Grenze. Der Norden Berlins litt Durst, weil Tegel den Hahn zudrehte. Neukölln bekam Versorgungsprobleme, weil aus Friedrichshagen nichts mehr floß. Seit dem Fall der Mauer pumpt man wieder in das ganze städtische System. Nur im Museum hat man die Zeit noch nicht fortgeschrieben.

Das Museum am Wasserwerk, Müggelseedamm 307, hat Mi. bis Fr. von 10 bis 16 und Sa., So. bis 17 Uhr geöffnet.

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