„Es geht um den Ruf des Berufsstandes“

■ Bisher gibt es keine geregelte Ausbildung für Heilpraktiker, nur Leitlinien

Langsam gleitet die Nadel in die Haut. Bis zu 25 Minuten stimuliert sie den genau ausgewählten Punkt, der die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen soll – Akupunktur ist eine Heilmethode, die häufig von HeilpraktikerInnen angewendet wird. Für die staatliche Heilpraktikerprüfung ist es allerdings vollkommen unwichtig, ob der Prüfling die Methode der Akupunktur oder andere alternative Verfahren beherrscht. Daran haben auch die Leitlinien des Bundesgesundheitsministeriums von 1994 zur Überprüfung angehender HeilpraktikerInnen nichts geändert. Zwar darf außer dem approbierten Arzt nur derjenige, der die staatlich anerkannte Heilpraktikerüberprüfung bestanden hat, einen Heilberuf ausüben. Auch sind HeilpraktikerInnen gesetzliche Grenzen gesetzt, sie dürfen etwa keine Geschlechtskrankheiten behandeln oder verschreibungspflichtige Medikamente verordnen. Doch eine geregelte Ausbildung für Heilpraktiker gibt es nicht. Nach dem heute noch geltenden Heilpraktikergesetz von 1939 müssen die zuständigen Gesundheitsämter lediglich überprüfen, daß der angehende Heilpraktiker „keine Gefahr für die Volksgesundheit“ darstellt. Die Leitlinien des Gesundheitsministeriums haben die Überprüfung lediglich vereinheitlicht, eine Prüfungsordnung sind sie nicht.

„Unklar ist auch“, so Marita Völker-Albert vom Bundesgesundheitsministerium, „wie weit die einzelnen Bundesländer die vereinheitlichten Leitlinien bereits umgesetzt haben.“ In Berlin beispielsweise wird schon nach den Leitlinien geprüft, so Herta Tausk, Schulleiterin der Paracelsusschule für HeilpraktikerInnen. Im März 1994 fanden hier die neuen Prüfungen statt. „50 Multiple-choice-Fragen und 10 freie schriftliche Fragen müssen in drei Stunden beantwortet werden. Wer dreiviertel der Fragen richtig hat, wird zur mündlichen Prüfung zugelassen“, erläutert Andreas Brieske von der selbstverwalteten Heilpraktikerschule in Berlin-Kreuzberg.

Crux der Prüfung – aus Sicht der Heilpraktiker: der leitende Amtsarzt beschränkt sich meist auf schulmedizinische Fragen. Nur im Idealfall werden Heilpraktiker als Beisitzer an der Überprüfung beteiligt. In Brandenburg und Bayern ist das bereits gängige Praxis. In der Überprüfung werden nicht Fachkenntnisse getestet, sondern nur, was ein Heilpraktiker nicht darf. Herta Tausk sieht in den neuen Richtlinien einige Vorteile: „Wenigstens besteht nun die Möglichkeit, bisherige Willkür auszuschließen. Eine größere Gerechtigkeit bei der Prüfung ist so möglich.“ Die angehenden HeilpraktikerInnen könnten auf diese Weise zudem medizinische Kenntnisse vorweisen. Für Tausk besteht die Ausbildung zum Heilpraktiker allerdings nicht nur aus schulmedizinischem Wissen. Schließlich ist der Ansatz der Heilpraktiker ein ganz anderer. So soll die biographische Seite der Krankheit mit einbezogen werden, die Behandlungsmethoden reichen von Diätik bis zur Pflanzenkunde.

150 Heilpraktikerschulen gibt es in Deutschland. Gerade weil es kein verbindliches Curriculum für die Ausbildung zum Heilpraktiker gibt, bemühen sich zunehmend Schulen um eine profunde und seriöse Ausbildung. „Eine vernünftige Ausbildung ist dringend nötig“, meint Andreas Brieske. „Es gibt viele Geschäftemacher, die den naturheilkundlichen Trend nutzen und teure Crashkurse als Vorbereitung auf die Prüfung anbieten, unter dem Nimbus, daß man später viel Geld als Heilpraktiker verdienen könne.“ Auch für Tausk, „geht es um den Ruf des Berufsstandes“. Und natürlich um die Patienten. Der Fachverband für Heilpraktiker, mit rund 4.800 Mitgliedern der größte Fachverband in Deutschland, hat daher einen Lehrplan für seine Mitgliedsschulen erstellt. Drei Jahre lang werden die Auszubildenden in 3.000 Stunden unterrichtet.

An der Paracelsus-Schule liegt das Mindestalter bei 21 Jahren. Fünf bis sechs Stunden täglich an vier bis fünf Tagen wöchentlich wird der Lehrstoff vermittelt. Im letzten Jahr lernen die Schüler praxisnah und unter Supervision im Ambulatorium, die Patienten zu behandeln. Sie werden nicht nur mit diagnostischen Methoden, naturheilkundlichen Therapien und Homöopathie vertraut gemacht, sondern auch auf die eigene Praxisgründung vorbereitet.

Die Einführung einer festen Prüfungsordnung, in der heilkundliches Wissen abgefragt wird, findet Brieske problematisch. „Zwar kann man so Scharlatane abwehren, das aber auf Kosten der Freiheiten, die man jetzt in der Ausbildung noch hat.“ Wünschenswert für ihn wäre eine Prüfung, die stärker Bezug auf die heilpraktische Ausbildung nimmt. Ansonsten könne nur der Markt und die Erfahrung der Patienten mit einzelnen Heilpraktikern zu einer Auslese führen. Denn unter im Crashkurs erlernten Techniken und billigen Effekten leide vor allem der Patient. Eva Blank