Die Dame mit dem Fächer

Keine Dummheiten! Mehr Schub! Und dann heben wir doch noch ab – der Flug nach Faro oder: Nur Flugangst gebiert klammheimlich Großes  ■ Von Uwe Wandrey

Wie immer der letzte, Raucher, hinterste Reihe, Platz am Gang.

Von hier aus habe ich alles im Blick. So, anschnallen, meinetwegen kann's losgehen. Raus aus der Hitzewelle.

„Liebe Fluggäste, wir haben noch eine Kleinigkeit an der Klimaanlage zu überprüfen und bitten um Ihr Verständnis. In etwa 15 Minuten werden wir dann starten.“

Beeilt euch, ich habe schon 'n Ozonloch im Gehirn. Hoffentlich kommen bald die Erfrischungstücher.

Die Dame neben mir fächert sich über den Ausschnitt. Die dunklen Sprossen auf den Fingern ziehen Spuren durch die Luft, ein Brillantring lasert mich an. Moschuswolken verquirlen über den Sitzreihen.

Ich wedel mich frei, und der Fächer schnappt ein.

„Verzeihen Sie, wenn ich ein wenig transpiriere. Aber es wird besser mit mir, in Faro sollen 22 Grad sein“, näselt die Moschusdame, „im Schatten natürlich.“

Eine Stewardeß tritt mit Tablett und Tupferzange auf und verteilt heiße Zitronenlappen.

„Fürchten Sie sich auch ein wenig vorm Fliegen?“ fragt die Dame und läßt den Sicherheitsgurt aufspringen. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie sich leicht vorbeugt und den Kopf zu mir dreht. Ich lasse mich in Flugzeugen nicht gern anreden, schon gar nicht vor dem Start, von der Seite erst recht nicht. Die Dame fällt etwas zurück, wahrscheinlich ist sie beleidigt. Dann hängt sie plötzlich über meinem Sitz, ihre Hand fährt schräg nach oben zum Tablett und schnappt sich einen Lappen. Über meinen Arm wälzt sich Weiches.

„Oh, pardon.“

„Haben Sie auch Eiskonfekt?“ erkundige ich mich bei der Stewardeß. Die bedauert mit einem warmen Lächeln. Ich wische mir die Stirn und denke an die Eiswolken der Stratosphäre. Mein Ozonloch macht Metastasen.

„Sie haben also doch etwas Angst, geben Sie es zu.“

Ich öffne meinen Sicherheitsgurt. Es wird wieder Moschus gefächert.

„Liebe Fluggäste, hier spricht der Kapitän. Dürfen wir Ihre Geduld noch ein wenig in Anspruch nehmen? In Ihrem eigenen Interesse lassen wir das Fahrwerk noch einmal durchchecken. Es wird nicht länger als eine halbe Stunde dauern.“

Daß ich nicht lache, wie wollen die ein Fahrwerk am Boden checken?

„Wir zeigen Ihnen jetzt unser Video für die Sicherheitsmaßnahmen.“ (Bei Druckabfall in der Kabine fallen automatisch Sauerstoffmasken...)

Meinetwegen können sie jetzt schon fallen.

(Die Notausgänge ... die Rutschen...)

Rutsche her, ich will raus...

Nichts da, die Triebwerke kreischen auf, und der Vogel stottert über den Beton. Etwa 'n Anfänger im Cockpit? Ich sehe kühl an der Moschusdame vorbei durchs Fenster. Die Tragflächen wippen irgendwie verstört. Ich hoffe, die halten durch.

„So, liebe Fluggäste, die Checks sind beendet. Wir rollen jetzt auf die Startposition. Bitte schnallen Sie sich an, und stellen Sie die Rückenlehnen hoch.“

Auf meiner rechten Hand blinkt plötzlich ein Brillant. Die Linke der Dame hat sich um meinen hochstehenden Daumen geschlossen. „Verzeihen Sie, aber diese Kraft beim Start, die reißt mich jedesmal entzwei.“ Die andere Hand preßt sie auf ihren Bauch.

Höllenlärm, wir starten.

Von wegen. Was ist los! Mensch, Junge, gib Gas! Da halt' ich ja noch auf'm Fahrrad mit! Mehr Schub! So heben wir doch nicht ab! Ey – mach keine Dummheiten!

Irgendwie sind wir dann doch oben.

„Es ist wunderbar, mit Ihnen zu fliegen, junger Mann! Sie sind so unerschütterlich. Bleiben Sie länger in Portugal?“

Endlich pustet Frischluft aus den Düsen, ich ziehe meine Hand zurück und zünde mir eine Zigarette an. Als ich den Rauch so langsam und sicher zur Decke aufschweben sehe, beginnt meine Phantasie wieder zu basteln. Nein, Flugangst ist es nicht, ich bin nun mal ein Tüftler. In der Gegend von Fulda notiere ich in mein Heft: In aussichtslosen Situationen statt Sauerstoff Äther durch die Düsen sprühen. Besser betäubt als bewußt ins Jenseits.

Irgendwo über Freiburg konstruiere ich Passagierkapseln aus feuerfestem Material, die im Notfall Flossen ausfahren und infrarotgesteuert zum nächsten Flugplatz hinuntergleiten.

Zwischen Mühlhausen und Marseille denke ich an meine Zeit als Bodengefreiter bei der Bundesluftwaffe. Und plötzlich packt mich die Wut. Dort mußte nämlich jeder, der in irgendein Flugzeug kletterte, selbst im lahmsten Kurierflieger, einen Fallschirm umschnallen. Warum, bitte schön, wird ein über Bosnien abgeschossener Tornado-Pilot mit dem Schleudersitz aus seiner Mühle herauskatapultiert, ein normaler Passagier aber muß mit seinem Großraumjet in der Luft zerschmelzen oder am Boden zerschellen? Klar, das ist eine Kostenfrage. So eine Pilotenausbildung, die kostet ein paar hunderttausend, aber menschlich gesehen – ach vergiß es.

Und dann, über Toulon, kurz hinter der Airbus-Fabrik, hab' ich die billigste Lösung. Aber irgendwie muß ich dabei auf den Knopf für die Stewardeß gedrückt haben. Jedenfalls steht plötzlich eine vor mir:

„Ja bitte, Sie hatten uns gerufen?“

„Ja richtig. Hm – wußten Sie schon, daß man im Krieg Panzer an Fallschirmen abwirft?“

„Das mag sein.“

„Und wissen Sie, was ein einziger Panzer wiegt? Nein? 50 Tonnen!“

„Interessant. Und was war Ihr Wunsch?“

„Wir bauen einfach eine Fahrgastkabine, die sich im Notfall instinktiv schließt, und dann segeln wir alle an Riesenfallschirmen zur Erde. Aber mit Musik.“

Die schöne Stewardeß lächelt mich mitleidig an. Und die Dame neben mir wedelt mit dem Fächer vor meinem Gesicht. „Der junge Mann“, zischelt sie zur Stewardeß, „hat ein wenig aufsteigende Hitze.“Und dann drückt sie mir wieder den Daumen.