■ Joschka Fischer instrumentalisiert den Krieg auf dem Balkan aus innerparteilichen und innenpolitischen Gründen
: Dahin, wo die anderen schon sind

Joseph Fischer hat in seinem offenen Brief an die eigene Partei eine in vielen Teilen überzeugende historische und politische Analyse des Krieges im früheren Jugoslawien vorgenommen. Niemand sollte ihm unterstellen, nicht tatsächlich innere Konflikte auszutragen. Aber seine militärisch-interventionistischen Schlußfolgerungen sind falsch.

Joseph Fischer ist vor allem Realpolitiker. Und als solcher weiß er, daß eine Regierungsbeteiligung der Bündnisgrünen ohne Korrekturen an ihrer Politik nicht zu haben ist. Diese nun auch auf dem Gebiet der bündnisgrünen Friedens- und Außenpolitik einzuleiten, ist der eigentliche Zweck seines Briefes. Den weiteren Verlauf des Krieges wird Fischers Initiative in keinem Fall beeinflussen können. Daß die Bündnisgrünen diese (und andere) Korrekturen im Sinne des Andienens an die herrschende öffentliche Meinung nachvollziehen, ist zu befürchten. Ludger Volmers jüngste Einlassungen (Ja zu deutschen Blauhelmen, Akzeptanz der Nato) deuten den innerparteilichen Kompromiß an. In der Geschichte Deutschlands gab es gewiß niemals zu viele pazifistisch orientierte Parteien. An den anderen hat es zu keiner Zeit gemangelt.

Nun entwertet der Zweck ja noch nicht per se den Inhalt seines Briefes. Zutreffend stellt Fischer fest, daß die sich widersprechenden Interessen der Großmächte nicht nur ein einheitliches Agieren im Balkankrieg verhindern, sondern diesen auch begünstigen. Die internationale Politik hat sich selbst blockiert. Von der UNO allerdings mehr und anderes zu erwarten, als die Veto-Mächte selbst wollen, ist illusorisch, so daß die Gegenüberstellung Fischers von den Großmächten einerseits und den UN andererseits an den Realitäten vorbeigeht.

Die von Fischer behauptete und zunächst so einleuchtend erscheinende Alternative – entweder Abzug der Blauhelme oder Intervention – besteht so nicht. Sie besteht schon deshalb nicht, weil die Großmächte offenbar weder das eine noch das andere wollen. Und sie besteht auch in der Sache nicht. Denn noch lange sind nicht alle Möglichkeiten nichtmilitärischer Einflußnahme von außen auf das Geschehen wirklich ausgeschöpft. Alle wissen, daß das Waffenembargo keines ist. An ein Energieembargo wird nicht ernsthaft gedacht. Und der Versuch, die Mittel, die derzeit für Unprofor, die Schnelle Eingreiftruppe, deny flight und die Embargoüberwachung in der Adria aufgebracht werden, den Kriegsparteien für den Fall eines Friedensschlusses für die nächsten zehn Jahre zum Wiederaufbau in Aussicht zu stellen, ist auch noch nicht unternommen worden. Sicherlich wollen die Großmächte eine solche Politik derzeit nicht, aber weshalb sollten Linke verpflichtet sein, sich auf deren Logik einzulassen?

Der Ruf nach Militärintervention, bevor nicht wirklich alles andere versucht wurde, ist verantwortungslos. Verantwortungslos, weil heute in der Tat niemand sagen kann, ob nicht gerade eine Militärintervention den Flächenbrand auf dem Balkan mit dann wirklich unabsehbaren Folgen für Fischers Lieblingskontinent Europa entzündet. In jedem Fall ist anzunehmen, daß eine Militärintervention, die ja nicht zuverlässig auf den Schutz der Schutzzonen zu begrenzen wäre, mit Opfern verbunden sein könnte, die weit über das bisherige Maß hinausgingen. Sicher wäre in einem solchen Fall die Vermittlungstätigkeit sowie die nicht gering zu schätzende humanitäre Hilfe der UNO nicht mehr durchführbar und ein Bruch mit Rußland die Folge. Weil aber genau diese Gefahren bestehen, ist jede Militärintervention abzulehnen, jedenfalls so lange, bis nicht tatsächlich alle nichtmilitärischen Interventionsmöglichkeiten durchexerziert und die politischen Ziele definiert sind, um jeden – auch und gerade den großserbischen – Nationalismus in die Schranken zu weisen.

Im übrigen wage ich zu bezweifeln, daß, selbst wenn sich die Großmächte auf eine Militärintervention verständigen würden, diese zu der von Fischer gewünschten und auch mir sympathischen Lösung, nämlich der Rückkehr zu einem föderal organisierten Staatsaufbau, führen würde. Nicht nur weil eine wie auch immer geartete (Kon-)Föderation von den südslawischen Völkern derzeit offenbar nicht gewollt wird, sondern auch weil ein Interventionsfrieden immer ein diesen Völkern aufgezwungener und langfristig kaum tragfähiger Frieden wäre.

Wenn es ums nackte Überleben geht, ist Prinzipienreiterei fehl am Platz. Aber warum soll das in erster Linie für den Pazifismus gelten? Warum nicht z.B. auch für das Prinzip der staatlichen Integrität, wenn diese nur durch noch mehr Krieg, noch mehr Vertreibung, noch mehr Mord und noch mehr Vergewaltigung herzustellen ist?

Es ist schon merkwürdig: In keinem Land der Welt schallt der Ruf nach militärischer Intervention so laut und so einstimmig wie in Deutschland – von der Regierung über die Medien bis hin zu den Bündnisgrünen. Einem Land, das überdies weiß, daß es die Lasten einer solchen Intervention nicht zu tragen hätte. Ich habe nicht den Eindruck, daß dies auf eine besondere deutsche Sensibilität für Ungerechtigkeit und Leid zurückzuführen ist. Eher schon sehe ich einen Zusammenhang mit dem auch von Fischer festgestellten Versuch, „Deutschland wieder zu einer militärisch gestützten, machtorientierten Außenpolitik zurückzuführen“ – also wieder da hinzukommen, wo die anderen schon sind.

Nun unterstelle ich Joseph Fischer nicht, daß dies auch sein Ziel wäre. Aber sein einziges Argument, das auch nicht ewig halten wird und wohl auch nicht soll, gegen eine deutsche Beteiligung an einer Intervention in Bosnien – die richtige Feststellung, daß deutsche Soldaten aus instrumentalisierbaren historischen Gründen zu einer Verschärfung des Konflikts führen würden – bleibt vor diesem Hintergrund reichlich schwach. Denn was für diese Region fraglos zutrifft, gilt ja keineswegs für alle.

Joseph Fischer weiß, daß bei der Entscheidung über militärische Interventionen, also über Krieg und Frieden, die Haltung der deutschen Bündnisgrünen für die Großmächte von – vorsichtig ausgedrückt – nachgeordneter Bedeutung ist. Und weil er das weiß, muß er sich den Vorwurf gefallen lassen, den Krieg im früheren Jugoslawien aus innerparteilichen und innenpolitischen Gründen zu instrumentalisieren. Seine Methode, die Bündnisgrünen regierungsfähig zu machen, ist die selbe, die die Bundesrepublik anwendet, um militärische Interventionspolitik politisch durchzusetzen. Beide benutzen das Grauen des Krieges im früheren Jugoslawien (und die Schwäche pazifistischer Positionen in unserer Gesellschaft), um innenpolitische Ziele zu befördern. Wäre das anders, würden in Fischers Brief nicht so viele Fragen (und Antworten) fehlen, z.B.: Wer verdient wieviel an diesem und anderen Kriegen? Wie kann international ein wirksamer Waffen- und Energieboykott durchgesetzt werden? Und wenn wirklich irgendwo auf der Welt eine militärische Intervention unabdingbar wird, warum dann nicht durch internationale Streitkräfte einer reformierten UNO? Mit solchen Fragen kann man auch Politik machen, gegenwärtig in Deutschland aber nicht Regierungspolitik.