„Ablaßhandel“ für Flüchtlinge

Nach welchen Kriterien sollen Flüchtlinge auf EU-Staaten verteilt werden? Diese Frage muß alsbald geklärt werden. Schon heute wächst die Kritik am Zählverfahren für Vertriebene  ■ Aus Bonn Karin Nink

„Wie viele Flüchtlinge zählt ein Soldat?“ Mit dieser Frage werden sich die Mitglieder des Europäischen Rates spätestens dann befassen müssen, wenn es darum geht, Flüchtlinge aus einem Krisengebiet „ausgewogen“ auf die verschiedenen Mitgliederstaaten zu verteilen.

Sie haben in ihrem „Entschluß zur Lastenteilung hinsichtlich der Aufnahme und des vorübergehenden Aufenthalts von Vertriebenen“ entschieden, daß auch der Beitrag berücksichtigt werden muß, den „einzelne Mitgliederstaaten zur Verhinderung bzw. Lösung der Krise, insbesondere durch die Leistung militärischer Hilfe im Rahmen von Einsätzen und Missionen im Auftrag des UN-Sicherheitsrats oder der OSZE“ geleistet haben. Die bündnisgrüne Europa- Abgeordnete Claudia Roth übte am Freitag scharfe Kritik an dieser Passage der Vereinbarung. Dieser „makabre Ablaßhandel“ habe mit den Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention „nicht das geringste“ zu tun, sagte die Politikerin. In der Vereinbarung, die der Ministerrat „klammheimlich“ und ohne das Europäische Parlament zu informieren, getroffen habe, würden Deserteure und Kriegsdienstverweigere nicht berücksichtigt. Roth kritisiert weiter: „Da sie nicht explizit erwähnt werden, werden sie offensichtlich nicht als schützenswert angesehen.“

Statt die Flüchtlinge zwangsweise nach Quoten in die einzelnen europäischen Länder zu verteilen, fordert Roth einen europäischen Flüchtlingsfonds. Sie setzt sich auch für die Aufhebung der Visumspflicht und für einen sofortigen Abschiebestopp in alle Regionen des ehemaligen Jugoslawien ein.

„Es ist ein Skandal, daß es in der Bundesrepublik zwar eine Visumspflicht für Bosnier gibt, die Menschen aber nach wie vor keine Möglichkeit haben, in Bosnien- Herzegowina ein Visum zu erhalten, weil Deutschland dort immer noch keine funktionsfähige Botschaft hat“, sagte sie.

Die SPD-Innenexpertin Cornelie Sonntag-Wolgast sprach sich dafür aus, die Aufnahmen von weiteren Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien nicht davon abhängig zu machen, daß innerhalb der Europäischen Union (EU) Aufnahmequoten vereinbart werden.

Deshalb forderte sie ein Bleiberecht für kroatische Flüchtlinge, die mit Serben verheiratet sind, und für Serben, die auf kroatischem Gebiet gelebt, jedoch nicht die Staatsbürgerschaft bekommen haben. „Es besteht das Risiko, daß diese Menschen bei ihrer Rückkehr nach Kroatien nicht eingegliedert werden“, begründete Cornelie Sonntag-Wolgast ihren Vorschlag.

Andere noch in Deutschland lebende kroatische Flüchtlinge könnten wie geplant vom 15. September an zurückgeschickt werden. Sonntag-Wolgast plädierte erneut dafür, endlich einen Rechtsstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge festzuschreiben. Bund und Länder sollten jeweils die Hälfte der Unterbringungskosten zu tragen.