■ Ein Aber angesichts der berechtigten Atomtest-Proteste
: Nicht zu schnell auf die Barrikaden!

Ich glaube schon, daß es richtig ist, daß wir alle gegen diese geplanten Tests auf Moruroa protestieren.

Trotzdem darf man sich heutzutage vielleicht fragen, da nun mal, wohl oder übel, die gaullistische „Force de frappe“ (außer von ein paar alten oder neuen „Peaceniks“), schon längst von aller Welt als Realität akzeptiert wird, ob nicht ein französischer Staatschef berechtigt ist, sich zur Zeit seinerseits die Frage zu stellen, was das atlantische Bündnis überhaupt noch wert ist unter Clintons jämmerlicher Regierung und mit den schrecklichen kryptofaschistischen Banausen im US-amerikanischen Kongreß.

Wir haben das ja alle vor ein paar Wochen miterleben können, als dieser grauenhafte, pseudopazifistische Yuppie-Demagoge in Washington es ablehnte, auch nur zweihundert Hubschrauberpiloten den Franzosen zur Verfügung zu stellen, um die Zivilbevölkerung von Goražde gegen die „ethnische Säuberung“ der Serben zu schützen. Oder fanden Sie etwa den Medien-Eiertanz um die Rettung des abgestürzten US-Piloten vertrauenerweckend oder gar nur irgendwie appetitlich? Zum Kotzen.

Unter solchen Umständen darf Jacques Chirac sich eventuell doch Sorgen darüber machen, ob gegenüber zukünftigen Terrorstaaten, z.B. mit ukrainischem Plutoniumbomben ausgerüstet, Westeuropa überhaupt noch geschützt werden kann, und ob die gute alte „Abschreckung“ des Kalten Krieges nicht doch noch ein paar Jahrzehnte lang hinhalten muß, damit wir alle noch eine Weile überleben können ...

Gerade heute morgen las ich in der International Herald Tribune einen Leserbrief von einem französischen Juden meiner Generation, der offensichtlich ein ähnliches Schicksal 1940 bis 1945 hatte wie ich, und der auch nach Amerika emigrierte. Leute wie wir fragen uns halt, was zum Teufel aus den GIs geworden ist, die in der Normandie landeten, um uns von Hitler zu befreien, und was aus den amerikanischen Wählern, die für den Marshall-Plan votierten und damit einverstanden waren, ihre Steuergelder für den Wiederaufbau Europas zu spendieren.

Das alles sollte man sich überlegen, meine ich, bevor man zu schnell auf die Barrikaden steigt. Und noch etwas sollte man sich überlegen: Ob nicht deutsche und japanische Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten am Stammtisch, Professoren in Schulen und Hochschulen, sehr viel weniger gegen Atomversuche meutern würden, ware es nicht die Waffe der „Siegermächte“ gewesen, wäre sie nicht von Robert Oppenheimer und Albert Einstein entwickelt worden, sondern von Wernher von Braun und Genossen in Peenemünde. Darüber mache ich mir schon seit vielen Jahren Sorgen!

Gerade habe ich wieder so eine treuteutsch evangelische Theologin im Schweizer Rundfunk gehört, über Hiroshima natürlich. Ihre tugendhafte, salbige Stimme erschien mir mit stillem Haß erfüllt. Sie meinte wörtlich, die Welt würde das Schrecken und die vollkommen Unmenschlichkeit „seit Hiroshima“ (!) kennengelernt haben. Kein Wort über Auschwitz ... kein Wort! Ganz zu schweigen von den Millionen von Japanern, die sich darüber aufregen, daß ihr Sozi- Premierminister sich endlich entschuldigt hat und aus wütendem Protest Kränze an den Denkmälern ihrer Krieger niederlegen. Banzai! Tora, Tora, Tora! Man sollte da ein bißchen aufpaßen, meine ich – und dann erst, hauptsächlich im Namen der Polynesier und Australier und den Fischlein im pazifischen Ozean, bei Jacques Chirac protestieren! Dann allerdings! Marcel Ophuls

Französischer Filmemacher, 67 Jahre, drehte u.a. „Le Chagrin et la Pitié“ (über Vichy-Frankreich), „The Memory of Justice“ (über die Nürnberger Prozesse) und „Hotel Terminus“ – für diesen Film über den ehemaligen Gestapomann Klaus Barbie erhielt er 1989 den Oscar. Er ist der Sohn des bekannten Filmregisseurs Max Ophüls (1902 bis 1957).