„Wenn Fikret stirbt, dann sterbe ich auch“

■ 30.000 Muslime warten in Kroatien auf die Rückkehr ihres Anführers Fikret Abdić

Slunj (taz) – Unter Dächern aus Ästen und Gras haben sich die Menschen eingerichtet. In einem Tal entlang der Straße, die von der kroatischen Stadt Karlovac nach Velika Kladuša führt, ist ein einziges großes Flüchlingslager entstanden. Auf einer Länge von zehn Kilometern mischt sich der Gestank von Exkrementen mit dem Rauch der nassen Holzstücke, mit denen die Lagerfeuer unterhalten werden. Manche haben am Tag ihrer Flucht, nur das mitnehmen können, was sie auf dem Leibe trugen. „Als am Montag, den 7. August die Mudschaheddin angriffen, sind wir Hals über Kopf geflohen“, berichtet eine ältere Frau, die wenigstens noch einen Sack voller Kleider retten konnte. Insgesamt sind es wohl 30.000, die vor gut einer Woche aus der ostbosnischen Region Bihać geflohen sind. Sie flohen vor den bosnischen Truppen, obwohl sie selbst Muslime sind.

Die Flüchtlinge sind Anhänger des westbosnischen Politikers und Geschäftsmannes Fikret Abdić. Von der Regierung in Sarajevo und den meisten Bewohnern Bihaćs als „Verräter“ gebranntmarkt, weil er „mit den serbischen Extremisten der Krajina“ kollaboriert habe, wird er von seinen eigenen Anhängern in fast religiöser Weise verehrt. Obwohl er als Direktor des mit 20.000 Arbeitern größten jugoslawischen Agrarkonzerns „Agrokomerc“ meist in die eigene Tasche wirtschaftete, obwohl er sich im Oktober 1993 von der bosnischen Regierung lossagte – auf „seine Leute“ hat sich Fikret Abdić stets verlassen können. Sie zogen zur Verteidigung der „Republik“ von Velika Kladuša für ihn in den Krieg, und als er im Juni 1994 schon einmal geschlagen war, flohen Zehntausende seiner Anhänger mit ihm auf serbisches Gebiet. Über neunzig Tage hatten sie damals im Flüchtlingslager bei Karlovac ausgeharrt. „Fikret führte uns dann zurück.“

Die rund 40jährige Frau, eine ehemalige Verkäuferin in einem der Geschäfte von Agrokomerc, die das sagt, war damals dabei. Und sie ist stolz darauf, daß „unsere Leute“ im Oktober/November 1994 Velika Kladuša zurückerobert haben. „Wenn unser Fikret als Kriegsverbrecher angeklagt wird, werden wir alle auf der Anklagebank sitzen“, erklärt ein älterer Mann. Eine Bäuerin ruft: „Wenn er sterben muß, dann werde ich auch!“ Alle Umstehenden nicken mit dem Kopf und wiederholen den Satz. „Wenn er sterben muß, dann sterben wir auch.“

„Wohin Fikret auch geht, wir folgen ihm“, ruft eine andere Frau. Ob er nach Australien oder wieder zurück nach Velika Kladuša geht, sei gleich. „Nur wenn Fikret Abdić uns befiehlt zurückzukehren, werden wir uns auf den Weg machen.“ Ohne ihn jedoch wollen sie das Lager nicht verlassen. Auf keinen Fall.

„Am 16. August versuchte die kroatische Armee diese Leute mit Gewalt nach Bosnien zu vertreiben“, sagt Michael Frey, Chef des Internationalen Roten Kreuzes in Velika Kladuša. „Wir humanitären Helfer wurden am 16. August gezwungen, das Lager zu verlassen.“ Dann hätte die kroatische Armee Schüsse in die Luft abgegeben und den Flüchtlingen gedroht. „Doch es war nichts zu machen, die sind lieber hiergeblieben, trotz der Drohungen, der katastrophalen Lage, trotz der Seuchengefahr.“

Ohne Fikret Abdić wollen die Menschen nicht einmal entscheiden, ob eine Kommission gewählt werden soll, die den internationalen Organisationen als Ansprechpartner dienen könnte. „Nur wenn Fikret Abdić sagt, wir sollten dies tun, tun wir dies auch.“ Doch Abdić ist weit weg, er sitzt ohne Kontakt zu seinen Leuten in einem Zagreber Hotel und verhandelt mit den kroatischen und bosnischen Behörden über seine Zukunft. Und damit auch über die Zukunft der Menschen hier.

Rako Hirkić, der als die rechte Hand von Abdić gilt, bestätigt indirekt, daß bei den Verhandlungen vor allem um den politische Einfluß des Geschäftsmannes geht. Alles hinge von den Sicherheitsgarantien ab, die von der bosnischen Seite gegeben werden. „Wir fordern, daß es in Velika Kladuša eine von uns kontrollierte Polizei gibt. Wir fordern eine Repräsentation in den zivilen Strukturen sowie die Demilitarisierung der Region Bihać“, erklärt er. Hirkić selbstsicher: „Daß der kroatische Präsident Tudjman Abdić öffentlich als fähigen Geschäftsmann bezeichnet hat, ist bei uns registriert worden.“ Verlaufen die Verhandlungen also im Sinne von Fikret Abdić? Je länger die Flüchtlinge auf kroatischem Boden sind, desto mehr wächst der Druck auf die bosnische Regierung. Konfrontiert mit dem Schicksal und dem Starrsinn von 30.000 Menschen auf der Straße muß sie früher oder später die Bedingungen des „Abtrünnigen“ akzeptieren. Erich Rathfelder