Beim Chaos in der ersten Reihe

Sechzig Punks, ebenso viele Journalisten, doppelt so viele Zuschauer und zwanzigmal so viele Polizisten bescheren Oldenburg Chaostage ganz ohne Chaos  ■ Von Elke Gundel

Haste mal 'ne Mark?“ – an diesem Wochenende ein überholter Spruch im niedersächsischen Oldenburg: „Zehn Mark, oder ich lass' mich nicht fotografieren“, hieß statt dessen die Devise. Wo das Angebot niedrig und die Nachfrage künstlich hochgetrieben ist, da steigen die Preise. Und wo nichts Spektakuläres passiert, da werden die gewünschten Fernsehbilder eben gekauft. Helmut Bongartz, Einsatzleiter der Oldenburger Polizei, bestätigte nach Ablauf der Chaostage, die keine waren: „Ein Kamerateam eines privaten Fernsehsenders hat einigen Punks Geldbeträge bis zu 50 Mark gegeben, damit sie sich entsprechend in Szene setzen. Das hat auch das Kamerateam zugegeben.“ Welcher Fernsehsender das Chaos herbeifilmen wollte, behielt Bongartz allerdings für sich. Für Strafanzeigen wegen Anstiftung zum Landfriedensbruch seien die Erkenntnisse nicht ausreichend.

Ein skurriles Szenario bietet sich am Freitag nachmittag auf dem „Waffenplatz“ in der Oldenburger Innenstadt. Ringsherum Geschäfte – Plus dient als billige Bierquelle – und Kneipen. Von den draußen aufgestellten Kneipentischen aus kann man die Ereignisse bei einem kühlen Glas Bier kommentieren. Etwa sechzig Punks verlieren sich in der einen Ecke des Platzes, mindestens ebenso viele Kamerateams, Fotografen und Reporter belauern die Jugendlichen, doppelt so viele Schaulustige bestaunen Punks und Medien. Und die Polizei, bei weitem in der Überzahl, beobachtet Punks, Medien und Schaulustige. Kommt ein Punk mit einer neuen Palette Dosenbier von Plus, begleiten ihn zwei Fernsehteams mit laufenden Kameras. Schüttet sich ein anderer Wasser über den Kopf – schließlich ist es heiß –, werden die Fotoapparate gezückt.

Ohne ersichtlichen Grund räumt die Polizei den Platz und nimmt etwa dreißig Jugendliche vorübergehend fest. Einer der Punks wird von mehreren Beamten überwältigt und auf die Erde gedrückt, Hände auf den Rücken, Kopf auf den Boden. Dann zerren die Polizisten ihn quer über den Platz zum Polizeibus. Unruhe unter Punks, Medien, Schaulustigen und der Polizei. „Die Punks haben mit Bierdosen geworfen und randaliert“, begründet Polizeisprecher Hans-Günther Rose später diese Aktion. Einer der Punks habe außerdem eine Eisenstange bei sich gehabt. Doch nach ein paar Stunden ist klar: An diesem Wochenende wird Oldenburg bestimmt nicht in Schutt und Asche gelegt.

Am Abend steigt die Punkfete im autonomen Jugendzentrum Alhambra mit etwa 350 Jugendlichen. Auch der Leadsänger der Punkband Contra, der unter den auf dem Waffenplatz vorübergehend Festgenommenen war, ist rechtzeitig wieder frei, um wie geplant zum Konzert aufzuspielen. Das Alhambra hatte sich am Freitag erneut von den vermeintlichen Chaostagen in Oldenburg distanziert. „Wir wollen friedlich eine Punkfete feiern, wie wir das sonst auch immer getan haben“, sagte Christiane Kreuzkamp, eine der SprecherInnen des Alhambra. „Polizei und Politik haben eine gezielte Eskalationsstrategie verfolgt, um das Alhambra zu kriminalisieren“, kritisiert sie.

Bilanz dieses Wochenendes: Etwa 1.300 überwiegend gelangweilte Polizeibeamte, nur die Polizeisprecher hatten gut zu tun. Insgesamt 48 vorübergehend festgenommene Punks. Viele von ihnen waren 15, 16 Jahre alt und wurden nach wenigen Stunden nach Hause geschickt, am Sonntag mittag waren alle Punker wieder frei. Und ein Gerücht, das unter den Oldenburger Punks kursiert: Das Flugblatt aus Hannover sei bloß ein Jux gewesen.