■ Buchtip
: London von oben

„Dort unten existieren reiche Banken Seite an Seite mit heruntergekommenen Mietshäusern. Eilige Börsenmakler hasten an arbeitslosen Punks vorbei. Findet ihr es nicht seltsam, daß zwei ganz verschiedene Welten nebeneinander existieren können, ohne daß sie etwas voneinander wissen, ohne daß sie je miteinander in Berührung kommen. Nun müßt ihr diesem Bild eine dritte Welt hinzufügen, die Dachwelt hoch über den Köpfen von Arm und Reich. Dann werdet ihr eine Idee von den Träumen bekommen, die wir alle geträumt haben ...“ Der Autor Christopher Fowler hat eine Bühne gefunden, die noch niemand kannte: „Über den Dächern von London“ („Roofworld“), wie sein sein modernes Großstadtmärchen heißt.

Für Fowler ist London kein angenehmer Ort. Hier wälzt sich täglich „eine lärmende Menge über das mit Abfällen übersäte Pflaster“. Wenn er, wie Mary Poppins, auf ein Dach steigt, um London zu sehen, sieht er keine tanzenden Schornsteinfeger, sondern nur Dreck und soziale Ungerechtigkeit. In dieser hat auch die Natur keine Chance: „Obwohl die Regenwolken über der City sich verzogen hatten, waren über dem Leicester Square keine Sterne zu sehen. Aber das waren sie auch sonst nicht. Die hell erleuchteten Straßen und die flackernden Neonschilder der Schallplattenläden, Nachtclubs, Kinos und Burger- Bars warfen ein häßliches Licht in den Himmel, das diese natürliche Erscheinung zwang, gegenüber den irdischen Vergnügungen den zweiten Platz einzunehmen.“

Die auf den Dächern nennen die Menschen unten auf den Straßen nur „Insekten“. Sie leben nach eigenen Gesetzen. Nachts fliegen sie an Nylonschnüren über die ungeliebte Metropole und träumen den Traum von Freiheit. Doch auch in luftiger Höhe gibt es Ärger im Paradies. Der Machtkampf auf den Dächern macht dann die „Insekten“, und zwar die in Uniform, auf diese seltsame Welt aufmerksam.

Die „Helden“ in Fowlers gutem Unterhaltungsroman sind ein kontaktscheuer Drehbuchautor, der nicht schreibt, und eine junge Intellektuelle, die wegen ihrer Hautfarbe und der allgemeinen Arbeitssituation gezwungen ist, als Hausmeisterin ihr Geld zu verdienen. Die beiden entdecken das Leben auf den Dächern noch vor der Polizei, sind fasziniert von der Idee und geraten prompt in den Krieg um die Herrschaft über Roofworld. Doch das ist nicht das Ende des Traums ...Karl Wegmann

Christopher Fowler: „Über den Dächern von London“. Bastei-Lübbe Taschenbücher Verlag, 270 Seiten