Die UNO ist sauer mit Afghanistan

■ Vermittler Mestiri beschimpft Präsident Rabbani

Berlin (taz) – „Die gegenwärtige Regierung ist keine richtige Regierung. Sie hat keine legale Basis und kontrolliert nur zwei der fünf wichtigsten afghanischen Städte, Kabul und Herat, sowie etwa 8 von 32 Provinzen.“ Diese Einschätzung stammt nicht etwa von einem der Erzfeinde des afghanischen Interimspräsidenten Burhanuddin Rabbani. Sie kommt aus dem Mund des UNO-Vermittlers Ahmad Mestiri.

Mestiri, Ex-Außenminister von Tunesien, hatte Anfang 1995 einen Friedensplan ausgearbeitet, der unter anderem die Machtübertragung von Rabbani an einen Rat der Mudschaheddin-Führer vorsah. Doch Rabbani nutzte das überraschende Auftauchen einer neuen bewaffneten Bewegung – die vermutlich von Pakistan unterstützten „Taliban“, die im Frühjahr bis an die Tore von Kabul vorrückten – dazu, den Plan platzen zu lassen. Das hat Mestiri erbittert.

Seine Breitseite löste in Kabul natürlich ein Dementi, vor allem aber hektische Betriebsamkeit aus. Die Rabbani-Regierung versucht nun, das Leben in der zerstörten Hauptstadt zu normalisieren. Bereits zu Jahresbeginn wurde in Kabul die Rekonstruktion der teilweise zerstörten Hauptmoschee Pul-e Kheschti in Angriff genommen. Im April öffnete nach drei Jahren Schließung wieder die Universität, Anfang Mai auch die Schulen. Selbst die Regierungsbeamten erhalten angeblich Geld.

Für Rabbani von Vorteil ist, daß Kabul erstmals seit April 1992 frei von feindlichen Fraktionen ist. Auch in den anderen Gebieten des Landes sind die Kämpfe seit dem Frühjahr schrittweise abgeflaut. Afghanistan ist faktisch geteilt: Mit Herat im Westen, Mazar-e Scharif im Norden, Dschalalabad im Osten und Kandahar im Südosten haben sich neben Kabul vier Machtzentren gebildet, deren Chefs sich nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden lassen.

Präsident Rabbani sucht neue Bündnispartner

Der Präsident in Kabul versucht jetzt angestrengt, seine Basis zu erweitern. Kurz vor seinem Erfolg gegen die Taliban hatte sich nämlich sein Bündnispartner Maulawi Muhammad Nabi Muhammadi mitsamt der „Bewegung der Islamischen Revolution“ auf die Gegenseite geschlagen. Nun ist Maulawi der Weg zurück ins siegreiche Lager versperrt, und Emissäre Rabbanis versuchen, ihm die wichtigsten Feldkommandeure auszuspannen. Auch einige Kommandeure der von Saudi-Arabien finanzierten „Islamischen Einheit“ – die letzte größere Mudschaheddin-Partei, die noch zu Rabbani gehalten hatte – haben sich den Taliban angeschlossen.

Rabbanis Lager hat aber auch Zuwachs zu verzeichnen. Nach Ustad Akbari, der im Frühjahr den stärkeren Flügel der schiitischen Einheitspartei „Wahdat-e Islami“ in seine Reihen führte, halten sich seit über einem Monat auch der frühere Stellvertreter Hekmatjars, Qazi Amin Waqad, sowie andere Kommandeure von dessen „Islamischer Partei“ zu Gesprächen mit Rabbani in Kabul auf. Kontakte Kabuls, angeblich von Moskau vermittelt, gibt es auch zum Usbekengeneral Dostam, der mehrere Nordprovinzen beherrscht. Andererseits verhandelt Dostam auch mit den Taliban, und mit ihnen soll Ende Juni sogar Hekmatjar ein Abkommen unterzeichnet haben. Die Taliban lehnten die alten Mudschaheddin-Chefs anfangs alle als „unislamisch“ und „Verbrecher“ ab, haben sich seit ihrer Niederlage aber anders besonnen. Ihr Ziel ist jetzt die Formierung einer breiten Anti-Rabbani-Allianz.

Währenddessen versucht UNO-Vermittler Mestiri offensichtlich weiter, alle Fraktionen unter einen Hut zu bekommen. Deshalb bleibt er gegenüber Rabbani hart: Als einziges Land neben Somalia ist Afghanistan nicht zu den 50-Jahr-Feierlichkeiten der UNO im Oktober in New York eingeladen. Thomas Ruttig