Halbbruder Saddams wechselt das Lager

■ Der irakische UN-Botschafter in Genf schließt sich dem nach Jordanien geflohenen General Kamil an. Das Haschemitenreich nutzt die Gunst der Stunde, seine Beziehungen zu den Golfstaaten zu verbessern

Berlin/Amman (taz/AP) – Saddam Hussein ist erneut von einem seiner engsten Verwandten im Stich gelassen worden. Zehn Tage nach der spektakulären Flucht der beiden Schwiegersöhne des irakischen Diktators hat sich jetzt auch der bisherige UN-Botschafter des Irak in Genf, Barsan Ibrahim Tikriti, abgesetzt. Nach Angaben von Verwandten hat sich Tikriti Saddams Schwiegersohn Hussein Kamil Hassan al- Madschid angeschlossen – der General weilt jetzt in Jordanien.

In der letzten Zeit gab es Spekulationen darüber, ob der Schweizer Aufenthaltsort Tikritis als eine Art „halbes Exil“ anzusehen sei. Nachdem sich Hussein Kamil abgesetzt hatte, wurde in mehreren Presseberichten die Frage nach der Reaktion Tikritis aufgeworfen. Um nämlich das geheime Finanz- und Versorgungsnetz von Saddam Hussein aufzudecken, spielt neben Kamil auch Tikriti eine Schlüsselrolle. War er doch lange Zeit maßgeblich daran beteiligt, irakisches Vermögen – und auch das von Saddam Hussein persönlich – außer Landes zu schleusen.

Unter den Vertrauten Saddams gab es wiederholt Rivalitäten, die auch der Tatsache geschuldet waren, daß beide unterschiedlichen Zweigen der Familie al-Tikriti angehörten: den al-Madschid und den Ibrahims, die der irakische Diktator gerne gegeneinander ausspielte, obwohl sie zu seinen engsten Stützen gehören. Nun haben sich führende Repräsentanten beider Clans gegen Saddam gestellt.

In seinem jordanischen Exil plaudert Hussein Kamil unterdessen ungeniert aus dem irakischen Nähkästchen. Saddam Hussein habe für August einen Angriff auf Kuwait und Saudi-Arabien geplant, sagte Kamil in einem Interview der Nachrichtenagentur AP. Er habe an Sitzungen des Kabinetts und des Revolutionären Kommandorats teilgenommen, auf denen entsprechende Pläne erörtert worden seien. Erst nach seiner Flucht seien die Pläne widerrufen worden. Und am Sonntag hatte die britische Zeitung Observer unter Berufung auf Kamil berichtet, nur der Golfkrieg 1991 habe den Bau einer irakischen Atombombe verhindert. Seinerzeit hätte das Land lediglich noch drei Monate gebraucht, um eine Versuchsversion der Bombe herzustellen.

Die USA, die Jordanien nach Aufnahme der prominenten Flüchtlingen aus dem Irak eine Sicherheitsgarantie für den Fall eines irakischen Angriffs gegeben hatten, nehmen die Auslassungen Kamils offenbar ernst und erhöhen den militärischen Druck auf das Regime in Bagdad weiter. Nach der Entsendung eines Flugzeugträgers nach Haifa und gemeinsamen Manövern im Süden Jordaniens wurde gestern mit der Verlegung der ersten 80 von insgesamt 1.400 Soldaten nach Kuwait begonnen. Der Voraustrupp soll vorgezogene US-amerikanisch-kuwaitische Manöver vorbereiten. Damit reagieren die USA zugleich auf Berichte über ungewöhnliche Truppenbewegungen südlich von Bagdad.

Die jordanische Regierung sieht die Ereignisse allerdings wesentlich weniger dramatisch. Mit einem irakischen Angriff rechnet man in Amman nicht ernsthaft, ist doch Jordanien quasi das irakische Tor zur Welt. Und die Führung in Bagdad beeilte sich, König Hussein zum 43. Jahrestag seiner Thronbesteigung zu gratulieren, so, als sei nichts geschehen. Beide Länder unterhalten seit 1980 enge Beziehungen, die auch während des Golfkrieges hielten – sehr zur Verärgerung der reichen Ölstaaten auf der arabischen Halbinsel.

Doch nun, nachdem Jordanien den irakischen Flüchtlingen Asyl gewährt hat, sind diese Sünden vergessen. Der saudische Geheimdienstchef Prinz Turki al-Feisal wurde nach Amman entsandt, und der jordanische Außenminister Abdel Karim Kabariti bereitet derzeit in Riad ein jordanisch-saudisches Gipfeltreffen noch im August vor. In diplomatischen Kreisen in Amman heißt es, Saudi-Arabien sei bereit, die 60.000 Barrel Öl, die Jordanien täglich unter Bruch des Embargos aus dem Irak bezieht, umsonst zu liefern. König Hussein spielt seine Karten einmal mehr geschickt aus. b.s.