Jürgens roter Bus Von Felix Berth

Neulich hätte es Jürgens Bus fast erwischt. Der Drittmotor hatte aufgehört zu stottern, die Bodenbleche waren bröselig wie ein zwei Wochen alter Sandkuchen, und irgendwie sah alles nach Schrotthalde aus. Bei jeder Frage, in der das Wort „Bus“ vorkam, wurde Jürgen ein- oder nullsilbig: Eine blasse Geste des Abwinkens, sonst nichts. Ein hämisches Gerücht behauptet sogar, Jürgen sei schon beim Wort Bussi zusammengezuckt.

Ich muß gestehen, daß sich mein Mitleid in Grenzen hielt. Nicht daß ich besonders schadenfroh wäre. Aber irgendwie sähe ich Jürgen schon gerne erlöst von der stinkenden Sparbüchse namens Wohnmobil: Ein ehemaliger Postbus, Baujahr zirka 1968, rot lackiert, nachgerüstet mit Holzbrettern, Campingbett, Einbaudusche, Miniküche. Wieviel Diesel dieses Wohnmobil in blaugraue Wölkchen umwandelt, verrät Jürgen nicht. Warum er mit diesem Riesengefährt jeden Morgen die acht Kilometer durch München ins Büro tuckert, ist eine Frage, die selbst gute Freunde nicht stellen sollten. Und wie viele Geldscheine der Bus schon absorbiert hat, ahnt wahrscheinlich nur der Schalterbeamte in Jürgens Bankfiliale.

Dabei ist Jürgen kein bornierter Camping-Papi, sondern ein grün angehauchter Pädagoge. Über alles kann man mit ihm reden, über seine Familie genauso wie über seine zwanzig Versuche, irgendwann mal sparsamer zu leben. Nur über eines nicht: über seinen roten Bus.

Daß die Karre beim Bremsen gefährlich nach links zieht – egal, sie verspricht Freiheit: Einfach nach der Arbeit raus und irgendwo übernachten. Daß es reinregnet und der silberne Tesafilm auf dem Dach wohl nicht ewig dichthält – unwichtig, ein Marlboro-Mann hält auch ein bißchen Feuchtigkeit aus. Daß der Wagen nicht mehr geradeaus fährt, weil die Lenkung so schlabberig ist – tabu, Jürgens roter Bus ist eines der letzten Refugien für den echten Mann.

Und doch, wenn es den Bus in der letzten Verschrottungskrise wirklich erwischt hätte? Wenn Jürgen nicht irgendeinen Freund überredet hätte, das Wohnmobil für ein paar Hunderter oder Tausender wieder halbwegs fahrfähig zu machen? Wenn aus dem fünf Meter langen Schrotthaufen plötzlich ein komprimierter Schrotthaufen, Maße achzig mal achzig, geworden wäre? Ungern gebe ich es zu, aber: Selbst mir würde irgendwas fehlen.

Beispielsweise die bequeme Art, mein Fahrrad in den Bus zu laden und durch die Stadt zu kutschieren zu lassen. Oder es würden plötzlich keine neuen Bus-Anekdoten mehr nachgeliefert – wie die Geschichte von Jürgens Bekanntem, der den Tank leer fuhr und nachfüllte. Statt Diesel erwischte er Benzin, was durchschlagenden Erfolg gehabt haben soll. Oder der zweite Bus-Kumpan, der zwar die richtige Zapfsäule erwischte, aber den falschen Tank. Seitdem schmeckt das Wasser aus Jürgens Bus etwas ölig ...

Also: Was wäre, wenn der Bus tatsächlich auf der Schrotthalde gelandet wäre? Jürgen hätte mehr Geld auf seinem Konto, er hätte vielleicht ein stadttaugliches Auto, und die Welt hätte eine Plage weniger. „Ein Leben ohne Jürgens roten Bus.“ Klingt extrem vernünftig – und extrem langweilig. Nur für alle Fälle: Hat irgend jemand einen roten Bus zu verkaufen?