■ Wühltisch
: Der Schnäppchenkauf

Zu den Begleiterscheinungen der Transformation, wie Soziologen die Umbruchs- und Wandlungsprozesse in den ehemals sozialistischen Ländern nennen, gehört der kleine Grenzverkehr. Die fremde Umgebung samt ihren Gepflogenheiten und ihrer unbekannten Warenwelt muß erkundet werden. So fahren die – kulinarisch unbegabten – Berliner am Wochenende gern nach Polen, um frischen Aal zu kaufen. Der soll günstiger sein als in der Markthalle nebenan, der kleine Ausflug läßt sich mit Nützlichem verbinden. Nun sind deutsche Aalfreunde angeblich wiederholt reingefallen. Die polnischen Fischverkäufer sollen den größten Teil selbst gegessen und die Fischreste mit einem Stück Fahrradschlauch zu einem optisch recht ansehnlichen und vollständigen Aal zusammengefügt haben.

Der Schnäppchenkauf erweist sich so als ein Handel mit hohen Unsicherheitsanteilen, Regreßforderungen zwecklos. Wer auf Schnäppchen aus ist, läuft Gefahr, am Ende mit leeren Händen oder doch mit weniger als gedacht dazustehen. Das lehrt schon die Kindersprache, der zufolge Schnappen das glückliche Fangen eines beweglichen Gegenstandes bedeutet. Man muß im rechten Moment zupacken können. Fallenlassen wäre freilich ebenso Scheitern wie das Unterlassen eines Fangversuchs. Ein weiteres Merkmal des Schnäppchens ist der verlockend günstige Preis für ein als hochwertig angesehenes Produkt. Die Konstellation von Zeit, Wert und Preis macht das Schnäppchen aus und läßt sich künstlich nur unbefriedigend herstellen, wie das saisonale Branchenjammern nach Schlußverkäufen zeigt.

Das Schnäppchen läßt sich seitens der Anbieter nur schwer organisieren. Seine adäquate Verkaufsform ist die öffentliche Versteigerung, hier kommen die Launen der Käufer vollauf zu ihrem Recht. Zum Beispiel Pferdeauktionen. Die Preise schwanken dort nicht selten zwischen 5.000 und 500.000 Mark, der Viehmarkt entpuppt sich als Spiegel schicksalhafter Entscheidungen. Hier eine Okkasion zu bekommen, verlangt mehr als nur den richtigen Zeitpunkt zu treffen. Irgendeinen Makel muß das angepriesene Tier ja haben, auf das der Auktionator schon nach wenigen Handzeichen kein weiteres Gebot mehr erhält. Wir halten fest, daß neben dem passenden Augenblick genaue Produktkenntnis die wichtigste Voraussetzung zum Schnäppchenkauf ist – das gilt für Pferde ebenso wie für gebrauchte Autos.

Der Schnäppchenkauf jedenfalls basiert auf einer unübersichtlichen Marktsituation, die durch Angebot und Nachfrage allein nicht zu erklären ist. Wir tippen auf eine bedeutsame soziale Komponente. Die feinen Leute sind diesmal aus dem Spiel. In der Regel kennen sie den Wert der Qualitätsprodukte und sind in der Lage, den entsprechenden Preis zu zahlen. Überstürzte Entscheidungen sind ohnehin nicht ihre Sache. Sie legen wert auf Qualität und wissen stets, wo sie diese kaufen. So halten sie sich den gemeinen Konsumenten vom Leib. Drängeln am Wühltisch ist ihnen zuwider. Der prädestinierte Schnäppchenjäger ist vom sozialen Typus her Aufsteiger. Bei gleichzeitiger Zeitersparnis möchte er teilhaben am demonstrativen Konsum der müßigen Klasse. Dabei kommt ihm mangelnde Produktkenntnis mitunter in die Quere. Unsere Aalkäufer wollen vermutlich gar keinen Aal, sondern nur das Gefühl davon – und das besonders günstig. Die Schnäppchenjagd ist somit das Glücksspiel des „homo oeconomicus“. Ganz so billig sollen aber auch die feinen Leute nicht davonkommen. Bei Pferdeauktionen kommt es vor, daß einige immer das höchste Gebot halten müssen. Ihr Schnäppchen ist dann der Applaus der bewundernden Menge. Sie spielen bloß in einer anderen Liga. Harry Nutt