AKW Mülheim-Kärlich fast ganz abgeschrieben

■ SNC/RWE erwirtschaften 1994 Gewinne mit stillgelegtem AKW am Rhein

Frankfurt/Main (taz) – Eigentlich könnten jetzt die Bulldozer kommen und das seit sieben Jahren abgeschaltete Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich endlich niederwalzen. Die Betreibergesellschaft RWE bestätigte gestern eine Meldung der Landtagsfraktion der Bündnisgrünen in Rheinland- Pfalz, wonach das umstrittene AKW im erdbebengefährdeten Rheingraben (fast) endgültig abgeschrieben ist. Restbuchwert des Meilers: schlappe 867.436.505 deutsche Mark und 80 Pfennige.

Gefunden haben die Bündnisgrünen diese im Vergleich mit den Bau- und Kapitalkosten in Höhe von 7,78 Milliarden Mark lächerliche Summe im Geschäftsbericht der Eigentümerin des AKW für 1994, der Société Luxembourgeoise de Centrales Nucléaires (SNC). Und obgleich der Reaktor im Berichtsjahr nicht eine Kilowattstunde Strom lieferte, konnte SNC einen Reingewinn von knapp 5 Millionen Mark erwirtschaften und an die Aktionäre ausschütten.

Hauptaktionär von SNC sind die Rheinisch-Westfälischen- Elektrizitätswerke (RWE) mit Stammsitz in Essen. Und SNC/ RWE hatten auch noch 8,7 Millionen Mark übrig für Steuern und Abgaben an die Kommune Mülheim-Kärlich und die Nachbargemeinden.

Nicht nur die Bündnisgrünen, sondern auch der Hauptkläger im laufenden Verfahren um das AKW vor dem Oberverwaltungsgericht (OLG) in Koblenz, Joachim Scheer, gehen deshalb davon aus, daß die Bau- und Kapitalkosten für das AKW „zu 88,9 Prozent bezahlt sind“ – von den Strom- und SteuerzahlerInnen. Die Klage von RWE gegen das Land Rheinland- Pfalz auf Schadenersatz sei deshalb unbegründet. Nach der höchstrichterlichen Aufhebung der unter der damaligen CDU-Landesregierung mit Ministerpräsident Helmut Kohl an der Spitze erteilten fehlerhaften ersten Teilerrichtungsgenehmigung für Mülheim-Kärlich durch das OLG im Jahre 1988 hatte RWE das Land auf Schadenersatz geklagt.

In einer ersten Entscheidung des Gerichts waren RWE und Rheinland-Pfalz dazu verurteilt worden, die Errichtungskosten für das AKW zu gleichen Teilen zu übernehmen. Beide Parteien gingen seinerzeit in die Berufung, so daß es – voraussichtlich in etwa einem Jahr – zu einem Schadenersatzprozeß vor dem Bundesgerichtshof kommen wird.

Bei einer endgültigen Stillegung, so drohte RWE der heute amtierenden SPD/FDP-Landesregierung, kämen dann noch Schadenersatzforderungen „in Milliardenhöhe“ auf das Land zu.

RWE mußte gestern zwar zugeben, daß das AKW tatsächlich weitgehend abgeschrieben ist. Doch durch die Stillegung seien dem Konzern „durch verhinderte Stromverkäufe Gewinne entgangen“, sagte der Justitiar von RWE, Ulrich Mutschler. Und die will sich RWE offenbar auch noch vom Steuerzahler holen. Fest steht allerdings bislang nur, daß der zweite Oberverwaltungsgerichts-Prozeß um die erste Teilerrichtungsgenehmigung (neu), bei dem es um die Erdbeben(un)sicherheit des AKWs geht, am 6. November 1995 fortgesetzt wird. RWE-AKW MK – eine unendliche Geschichte. Klaus-Peter Klingelschmitt