Ich, Schröder

■ Der Mann will Kanzler werden. Nichts ist ihm zu peinlich für dieses Ziel: kein Schwenk, keine Intrige. Lange feilte der Sozialdemokrat am Image - nun hält er sich für den Besten Ein Porträt von Jürgen Voges

Ich, Schröder

Machtgeil ist der Kerl, sagen Parteifreunde, ein gnadenloser Opportunist. Einen „Heide-Strauß“ nennt ihn der Grünen- Vorsitzende Jürgen Trittin, oder: „Piächs Papagei“. Den AKW-Gegnern gilt der Mann mit dem borstigen Nußknackerkopf als „Saufkumpan des PreussenElektra-Chefs“. Und der eigene Parteivorsitzende? Für ihn ist Gerhard Schröder ein „Quertreiber“. Doch der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (51) hat auch Freunde: Edmund Stoiber etwa, den CSU-Ministerpräsidenten von Bayern.

Den beschreibt er so, wie er gerne selber gesehen werden möchte: machtbewußt, entscheidungsfreudig und pragmatisch, populistisch und erfolgreich. „Der wird's“, sagte Schröder jüngst und empfahl, ungefragt, Stoiber als nächsten Kanzlerkandidaten der Union. Aber eigentlich wollte der Niedersachse nur eins rüberbringen: Ich werde es, ich werde SPD- Kanzlerkandidat, ich werde Bundeskanzler.

Und so sieht sich der Ehrgeizige in seinem ungestümen Kampf: „Ich bin wie der Terrier meiner Frau. Ich gehe immer wieder ran.“ Knapp zwei Jahre ist es nun her, aber noch immer nicht verwunden hat er die parteiinterne Niederlage gegen Rudolf Scharping. Fast weinerlich hat er seine Schlappe um den Vorsitz beklagt: „Die Sache mit der Kanzlerkandidatur ist entschieden. Der Rudolf ist ja noch jünger als ich.“

Kanzler sein, davon träumt Schröder schon seit Juso- Zeiten. Bei einer Italienreise stand er an den Ufern des Arno und schwor sich: Ich werd's. Das berichten alte Freunde. Und als junger, als etwas trunkener Bundestagsabgeordneter stand der Hinterbänkler nächtens am verschlossenen Tor des Bundeskanzleramtes und hat daran gerüttelt.

Gerhard Schröder. Adrett frisiert, elegant gekleidet, schlagfertig, versiert im Umgang mit den Medien, so kennen ihn heute Fernsehzuschauer. Für einen Lacher ist er gut, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sobald er vor das Objektiv einer Kamera gerät, setzt er ein gefälliges Lächeln auf. Nur wer genau hinsieht, merkt: Oft bleibt die obere Gesichtshälfte merkwürdig starr. Das läßt ahnen, wie viele Designerstunden hinter dem Produkt Schröder stehen. Doch die Imagepflege zahlt sich aus – was im Vergleich zum steif-spröden Scharping auch nicht schwierig ist.

Im Alltag ist der Möchtegern-Kanzler ein anderer: hektisch, fordernd, launisch, autoritär. So kennen ihn seine Untergebenen. Immer wieder verrutscht ihm da seine für die Öffentlichkeit festgezurrte Freundlichkeit: Als er bei der Niedersachsen-Wahl 1994 die absolute Mehrheit gewonnen hatte, höhnte er seinen treuesten Diener an: „Die Rot-Grünen fliegen jetzt alle raus aus der Staatskanzlei.“ Schampus- und siegestrunken putzte er den Mann herunter, der ihn erfolgreich durch zwei Wahlkämpfe getragen hatte.

Vom machtbewußten Enkel hielt Willy Brandt schon 1983 sehr viel: „Ein politischer Profi mit Instinkt dafür, Fehler andere machen zu lassen.“ Damals wollte Schröder in sein erstes wichtiges Parteiamt, den Vorsitz des SPD-Bezirks Hannover, gewählt werden. Die Kandidatenrede war peinlich: Gepreßt trug der 39jährige Ex-Juso einen Text über seine „Bereitschaft zur Integration“ vor.

Zwar klappte es mit dem Reden nicht, aber eins beherrschte Schröder – Macht anhäufen. 1986, als SPD-Spitzenkandidat für die Niedersachsenwahl, setzte er sich schnell durch – eigentlich wundersam, denn seine ersten Wahlkampfauftritte waren rhetorische Katastrophen. In eintönig und laut vorgetragenen Reden zeigte er sich als Meister der vier- bis fünffach verschlungenen Relativsätze. Aber schon damals beherrschte er das kumpelhafte Gespräch mit dem Wähler. Nur ein Problem gab es damals für ihn noch: Vor TV-Kameras hatte er Schiß. Stocksteif kam er über die Mattscheibe, obwohl befreundete Journalisten seine Auftritte genauestens vorbereitet und analysiert hatten.

Gerhard Schröder stammt aus einfachsten, nein, richtig armen Verhältnissen. Ihm wurde nichts geschenkt, er selbst wollte immer etwas aus sich machen. Und hat er es nicht geschafft? Volksschule, Lehre in einem Haushaltwarengeschäft, mittlere Reife in der Abendschule, danach Abitur, und mit 32 Jahren ist er Jurist. Aus seiner Jugendzeit, sagen Freunde, stammt Schröders Verachtung gegen die Besserwisser aus der Mittelschicht, gegen die Lehrer, die „faulen Säcke“.

Wie alle, die in Parteien gehen, wollte Schröder das Gute: den „Menschen helfen“, „die sozialen Verhältnisse verbessern“. 19 war er, als er in die SPD eintrat. Später wollte er „ein Ministerpräsident“ werden, „für alle“ natürlich. Eine frühe Schröder-Erkenntnis: Denen da unten könne es nur einigermaßen gut gehen, wenn sie sich mit denen oben, den wirtschaftlich Mächtigen, arrangieren: Nicht umsonst sucht der Wirtschaftspolitker Schröder ständig eines: den „Konsens“, wie zuletzt beim Auto. – Jahrelang arbeitet Schröder an sich, müht sich, Reden nie vom Blatt abzulesen, will einen Schröder-typischen Stil entwickeln. Und er schafft es: Sein Wahlsieg 1990 ist sein Coming-out als souveräner Politiker: Als Ministerpräsident streift er die Befangenheit ab. Plötzlich wird der Verklemmte in Landtagsreden locker, auch die Fernsehauftritte klappen nun. Sein Buch, das er Ende 1992 von dem Ex-taz-Redakteur Reinhard Hesse schreiben läßt, trägt denn auch den bezeichnenden Titel „Die Reifeprüfung“.

Das Buch soll zeigen, daß Schröder nun reif ist: daß er an der Spitze einer rot-grünen Koalition die SPD zur Macht führen kann. Doch dann ist seine Partei gemein zu ihm; sie dankt ihm nicht, daß er, vor Eifer schier berstend, als erster Promi den damaligen Vorsitzenden Björn Engholm angreift. Promptes Revanchefoul der Genossen: Im Kampf um den Parteivorsitz unterliegt er Scharping. Das ist das große Pech für ihn, seine persönliche Tragik: Da hat er wie ein Weltmeister trainiert für die Kanzlerkandidatur, da hat er intrigiert, gekämpft, da fühlte er sich fit – und durfte doch nicht mehr an den Start.

Schröder wäre nicht Schröder, hätte er nicht aus der Niederlage gelernt. Und er weiß ja: Er ist der Größte, der Beste – und damit das jeder weiß, geht er in diesem Sommer „wieder ran“ an die Kanzlerkandidatur – ganz pragmatisch, ganz opportunistisch: 1993 standen die Parteirechten fest auf Seiten Scharpings. Doch mit der Wahl zum Parteivorsitzenden mußte Scharping in die Mitte rücken, wurde der Posten des Vormannes der Parteirechten vakant. Deswegen hat Schröder seinen Durchmarsch von links unten nach rechts oben vollzogen: Er nutzt seinen Posten als wirtschaftspolitischer Sprecher, um sich als Partner der Automobil-, Rüstungs- und Energiebosse zu profilieren. Der Seeheimer Kreis, diese konservative und mächtige Kanalarbeitertruppe der SPD, der 1993 noch unbedingt Scharping als Vorsitzenden wollte, bejubelt heute die Auftritte des Ex- Linken.

Obwohl er rackert, sich müht und strampelt, sich in die Schlagzeilen hievt – sein Streben hat etwas Sisyphosartiges: Er hat bisher kaum Fürsprecher gefunden in SPD-Vorstand und Präsidium, auch nicht unter den mittleren Parteifunktionären, die auf den Parteitagen das Sagen haben. Um einen Ehrenplatz in der SPD auf Bundesebene gehe es ihm nicht, meint er. Nur über eine Urwahl des nächsten SPD-Kanzlerkandidaten könnte er doch noch zum Zuge kommen: Schließlich will er „von denen geschätzt werden, auf die es ankommt: von der SPD-Basis“.

Da gibt's nur ein Problem: Auf Bundesparteitagen hat Gerhard Schröder noch nie geglänzt. Noch nie hat er eine gute, packende Rede vor der Bundespartei gehalten. Rudolf Scharping hat mit gutem Grund die Entscheidung zwischen sich und dem „Quertreiber“ auf die Tagesordnung des kommenden Bundesparteitags gesetzt – er will den Showdown jetzt, nicht erst 1998 wie Schröder. Ein Kompromiß zwischen den beiden Streithähnen scheint unmöglich: Das letzte Vier-Augen-Gespräch, das letzte Telefonat der beiden, liegt fast ein Jahr zurück.

Die Chancen stehen also verdammt gut, daß Schröder tatsächlich ein „Heide-Strauß“ bleibt: Ein mächtiger, selbstverliebter Landesfürst, der wie Franz Josef Strauß immer die Kanzlerschaft im Auge hat – und sie doch nie erreicht. Und darum rumpoltert, stichelt und schäumt. Nicht für die große Bühne reicht es bei Gerhard Schröder, sondern nur zum Komparsen beim alljährlichen Sommertheater. Ein tragischer Fall.