Terrorvorwurf im Stau

■ Kurdischer Autobahnblockierer kam glimpflich davon / 500 Mark und zwei Jahre Bewährung / Selbstverbrennungsabsicht nicht nachweisbar

Abdulhalim A. hat Glück gehabt. Hätte Amtsrichter Zorn die gleiche Einstellung wie Bundeskanzler Kohl und Innenminister Kanther, wäre seine Teilnahme an einer Autobahnblockade am 22.3.94 als „Terror mit neuer Dimension“ bewertet worden, dem man mit Ausweisung zu begegnen hätte. So wurde der Angeklagte lediglich wegen Beihilfe zur Nötigung zu einer Geldstrafe von 500 Mark verurteilt, die auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Tatsächlich hat Abdulhalim keinen Terroranschlag verübt. Er beteiligte sich lediglich an einer der insgesamt 15 Autobahnblockaden, die von KurdInnen aus Protest gegen das 1994 flächendeckend erlassene Verbot der Newroz-Feierlichkeiten bundesweit organisiert worden waren. Eine davon betraf die B 27 in Bremen auf Höhe der Überführung Waller Straße.

Laut Polizeibericht hielten am 22.3.94 etwa 100 KurdInnen, darunter viele Frauen und Kinder, die Autobahn in beide Richtungen etwa 1 Stunde lang besetzt. Als die Polizei eintraf, um die Blockade aufzulösen, drohten mehrere TeilnehmerInnen damit, Benzinbehälter über sich selbst und anderen auszuschütten und anzuzünden.

„Die Drohung betraf nie die Polizei, sondern immer nur die eigenen Landsleute“, erinnert sich der Einsatzleiter. Er sah, daß „mindestens 20“ teilweise geöffnete Benzinkanister und Flaschen, von Person zu Person weitergereicht wurden. Manche trugen den Kanister in der einen, das Feuerzeug in der anderen Hand. Aufgrund der „massiven Gefährdung“ sah der Einsatzleiter von einer Räumung ab und entschärfte die Situation durch Verhandlungen. Die KurdInnen forderten dabei ein Gespräch mit dem Bürgermeister oder einem Senator.

Reiner Zufall war es, daß Häfensenator Beckmeyer im dem Stau festsaß, der sich mittlerweile auf der Autobahn gebildet hatte. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm lösten die Demonstrantinnen freiwillig die Blockade auf. Trotzdem notierte die Polizei die Kennzeichen sämtlicher Fahrzeuge auf dem nahegelegenen Parkplatz.

Darunter befand sich auch das Auto des Oldenburgers Abdulhalim A. Er war, erklärte er gestern vor Gericht, von Freunden auf die Demonstration aufmerksam gemacht worden. Als er mit ihnen von Oldenburg anreiste, war die Aktion bereits in vollem Gang. Dabei habe er auch Benzinkanister gesehen, wußte aber nicht, wozu sie später benutzt werden sollten. „Ich selbst habe zu keinem Zeitpunkt der Demonstration einen Kanister oder ein Feuerzeug in der Hand gehabt.“

Dies bestätigt die Polizei. Keiner der vier Zeugen, nicht einmal der Einsatzleiter, der im ständigen Gespräch mit „den Rädelsführern“ gestanden hatte, konnte sich an den Angeklagten erinnern. Auf Fotos sieht man ihn lediglich in der Nähe von Personen stehen, die einen Kanister in den Händen hielten.

Wahrscheinlich deshalb hatte der Richter schon im Vorfeld die Anklage der Staatsanwaltschaft auf Widerstand gegen Polizeibeamte zurückgenommen. Der Eröffnungsbeschluß des Gerichtes lautete vielmehr auf Beihilfe zur Nötigung. Bis kurz vor Ende des Prozesses war unklar, ob dieser Vorwurf wegen der aus der Demonstration heraus drohenden Brandlegung erhoben wurde, oder aber allein wegen der Teilnahme an der Blockade.

Dieses nämlich ist durch das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20.7.95 wieder möglich geworden. Anders als das Bundesverfassungsgericht, das im Januar 95 entschieden hatte, Sitzblockaden erfüllen nicht den Tatbestand der Nötigung, da allenfalls eine psychische Einwirkung auf die betroffene Person stattfinde, wertet der BGH die durch eine Blockade verursachte Gewalt an denen, die im Verkehrsstau hängenbleiben, als physische Gewalt und sieht damit den Tatbestand der Nötigung erfüllt.

Da aber die Polizei keine Personalienfeststellung der VerkehrsteilnehmerInnen vorgenommen hatte, erwog der Richter nur am Rande, „ob Beckmeyer gestaut wurde“. Wohlahnend, daß eine Auslegung des Nötigungsparagraphen im Sinne des BGH das Verfahren eventuell bis zum BVG treiben würde. Er ordnete allein die Branddrohung als Nötigung ein und beschuldigte Abdulhalim aufgrund seiner Anwesenheit der Beihilfe. Schließlich hätte er die potentiellen Brandleger umstimmen oder aber sich entfernen können, meint der Richter: „Verlassen die Soldaten das Gefechtsfeld, ist auch der Krieg zu Ende.“ Fraglich, ob Abdulhalim ihm da zustimmt. Er lebt hier als anerkannter Asylbewerber, doch der Krieg der Türken gegen die kurdische Bevölkerung ist nicht beendet. dah