: Temporäre Spontanität
Die Berliner Kulturpolitik besteht auf ihrem finanziellen Nachteil – aktuelles Fallbeispiel: Schiller Theater ■ Von Petra Kohse
Zukünftige Kulturhistoriker werden es nicht schwer haben, die Berliner Kulturpolitik Anfang und Mitte der 90er Jahre zu kategorisieren. Symptomatisch, werden sie schreiben, war deren temporäre Spontanität. Konzeptionellen Entscheidungen entzogen sich die Verantwortlichen gänzlich, während die Lethargie durch überstürzte Beschlüsse unterbrochen wurde, sobald es sich um aktuelle Fragen der Immobilienverwaltung drehte.
Fallbeispiele werden diese Forscher vor allem im Westen der Stadt finden. 1992 wurde die Freie Volksbühne privatisiert und in die Unerheblichkeit musicalisiert, 1993 beschloß man über Nacht, nach diesem Vorbild auch mit den Staatlichen Schauspielbühnen zu verfahren. Die „Privatisierung“ des Schloßparktheaters resultierte 1995 in einer Subventionierung von fast zwei Millionen Mark jährlich für den Schauspiel-Betrieb von Heribert Sasse. Und das Schiller Theater soll im nächsten Jahr von Peter Schwenkow übernommen werden – für eine Miete von faktisch monatlich 666 Mark.
Es ist wirklich kaum zu glauben: Der absurde Vertragsentwurf, den Kultursenator Ulrich Roloff- Momin mit dem Kommerzkulturmulti Schwenkow sowie seiner Partnerin, der zur Rolf-Deyhle- Holding gehörenden Stella Musical AG, ausgehandelt hat (vgl. taz vom 18. 7.), wurde in geringfügig nachgebesserter Form am Dienstag vom Berliner Senat gebilligt.
Eine überaus umstrittene Entscheidung, die wohl nur deswegen getroffen wurde, weil „das Hickhack um das Schiller Theater endlich beendet werden mußte“, wie etwa der Vorsitzende der CDU- Fraktion, Klaus Landowsky, wünschte. Dieses Hickhack hatte und hat jedoch durchaus seine Berechtigung, handelt es sich bei dem Vertrag mit dem CDU-Mitglied Schwenkow doch eher um ein Freundschaftsangebot als um den Versuch, das abgewickelte Staatstheater-West angemessen gewinnbringend zu vermieten.
Wie diese Entscheidung eigentlich zustande kam, ist rundweg unverständlich. Denn nachdem der Öffentlichkeit im Juli der erste Vertragsentwurf vorgestellt worden war, protestierten alle Fraktionen außer der CDU ebenso wie die Medien und die Konkurrenten Schwenkows, Wolfgang Bocksch und Friedrich Kurz.
Letzterer hat beim Berliner Verwaltungsgericht mittlerweile einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, den Vertragsabschluß zu untersagen. Denn verhandelt wurde nach der öffentlichen Ausschreibung allein mit Peter Schwenkow, obwohl Bocksch etwa das Angebot gemacht hat, neben 500.000 Mark Jahrespacht zusätzlich 880.000 Mark für Bewirtschaftungs- und 350.000 Mark für Personalkosten zu übernehmen, sowie „nachweislich fünf Millionen Mark für nicht produktionsbezogene Investitionen“ selbständig aufzubringen.
Zum Vergleich: Schwenkow werden von den 408.000 Mark Jahresmiete 400.000 Mark erlassen, damit der Millionär davon die Zinsen für die fünf Millionen Mark bezahlen kann, die er in den nächsten zehn Jahren in das Schiller Theater insgesamt investieren muß. Freundlicherweise werden die Zinsen für die Gesamtinvestitionssumme von Anfang an von der Miete abgezogen, obwohl die Mindestlaufzeit des Vertrages nur vier Jahre beträgt und die Investitionen in Portionen von nur 500.000 Mark jährlich vorgenommen werden dürfen.
Die FDP und Bündnis 90/Die Grünen forderten sofort eine Prüfung aller Vertragsdetails im Theater-Ausschuß, die bisher nicht erfolgte, und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Klaus Böger, faßte die Sachlage Ende letzter Woche treffend zusammen: „Wir haben das Schiller Theater nicht geschlossen, um Herrn Schwenkow zu subventionieren.“ Und doch kam es jetzt zu einer Entscheidung für Schwenkow, obwohl das stärkste Argument für ihn vertraglich natürlich nicht abgesichert werden kann: daß er berlinspezifische Musicals aufführen lassen will.
Die SPD ließ am Vortag verlauten, sie werde gegen den Vertrag stimmen, aber Bausenator Wolfgang Nagel scherte als einziger aus der fraktionellen Linie aus – vielleicht, weil er eher eine irrationale und unpopuläre Entscheidung in Kauf nehmen wollte, als den von der eigenen Partei gestützten Kultursenator mitten im Wahlkampf auflaufen zu lassen. Ob das tatsächlich der stimmenträchtigere Entschluß war, wird sich zeigen.
Erneut protestierten alle Fraktionen außer der CDU am Dienstag heftig. Vor dem Hauptausschuß und dem Unterausschuß Theater des Abgeordnetenhauses wird dieser Pachtvertrag nun wohl auf jeden Fall noch bestehen müssen. Und falls ihm das wider alle Vernunft gelingt, wird man in den zukünftigen Annalen vermutlich auch lesen können:
Das Erstaunlichste an der Berliner Kulturpolitik in jenen Jahren war jedoch, daß die Verantwortlichen trotz ihrer finanziell prekären Situation ausgerechnet bei rein ökonomischen Entscheidungen auf ihrem Nachteil bestanden – vielleicht, um eine kreative Konzeption vorzutäuschen, die sie sonst so schmerzlich entbehrten, vielleicht aufgrund persönlicher Bindungen oder Kalkulationen, die heute nicht mehr nachzuvollziehen sind.
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