■ Joschka Fischer fordert die militärische Verteidigung der UN-Schutzzonen in Bosnien. Das bedeutet eine Eskalation und noch mehr Opfer, hält ihm der Bundessprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, entgegen
: Militärschutz? - Lieber

taz: Die Eroberung von Srebrenica und Žepa durch die bosnischen Serben war für den Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Joschka Fischer, der Anlaß, eine Neudefinition der außenpolitischen Positionen der Grünen einzuklagen.

Trittin: Nein, die Tragödie in Bosnien taugte und taugt nicht als Modell, an dem nun gerade das Versagen grüner Außenpolitik illustriert werden kann. Insofern stellt der Fall von Srebrenica wie die Offensive der Kroaten in der Krajina kraß die unverantwortliche Politik der die UN dominierenden Mächte und ihre unterschiedlichen Interessenlagen in Frage: eine Politik, die die Bildung von Nationen entlang von Ethnien legitimierte und darauf gesetzt hat, durch die Politik des ebenso klammheimlichen wie effektiven Hochrüstens einzelner Kriegspartner, in diesem Fall Kroatien, so etwas wie ein Kräftegleichgewicht herzustellen. Also, das ist gerade nicht der Punkt, wo die Grünen ihre politischen Vorstellungen zu hinterfragen haben.

Das Fischer-Papier hinterfragt aber ein ganzes Stück weit grüne Positionen.

Joschka unterzieht sich der Mühe, die dortige Situation aufzuarbeiten. Er macht aber auch im analytischen Teil Fehler. Hätte er die Fehler nicht gemacht, hätte er die kroatische Offensive und ihre Folgen, die Vertreibungen und neuen Eskalationen ja vorhergesehen und in seine Überlegungen einbezogen. Für ihn reduziert sich aber der „neue Faschismus“ – ich wäre da lieber präziser – ausschließlich auf die Herren Mladić und Karadžić, und auf diese Situation gibt es von niemandem eine Antwort. Dieser Teil seiner Einschätzung steht in einem eigentümlichen Kontrast zu Ausführungen an anderer Stelle, wo er sehr zutreffend beschreibt, daß die ganze Entwicklung sehr stark von den Interessen äußerer Mächte geprägt worden ist. Insofern ist das Papier in erster Linie inkonsistent und in sich haarsträubend widersprüchlich. Spätestens die Offensive der kroatischen Armee und die daraus folgenden erneuten ethnischen Säuberungen zeigen, daß der Friede nicht in der Verteidigung der Schutzzonen zu finden sein wird. Vielmehr wird die Beendigung des Krieges notgedrungen über Zagreb, Belgrad, Sarajevo und die europäischen Hauptstädte führen.

Lehnen Sie die Verteidigung von UN-Schutzzonen grundsätzlich ab?

Die Errichtung von Schutzzonen ist auf Dauer kein Ersatz für eine Nichtkriegslösung. Ich spreche bewußt nicht von Friedenslösung. Die Alternative der Überlegung ist ja merkwürdigerweise nicht, die Schutzzonen nun mit Gewalt zu schützen, ohne eine Perspektive für danach zu haben. Selbst Fischer geht davon aus, daß man ohne Gebietsaustausch, ohne reale Aufgabe der Schutzzone, etwa von Goražde, nicht zu einer Nachkriegslösung kommt. Deswegen wäre doch das naheliegendste, daß man vorübergehende Schutzzonen hat. Wenn sich zeigt, daß eine andere Lösung nicht möglich ist – warum wirft jemand, der aus der Tradition der Grünen kommt, dann nicht die Frage auf, ob es nicht sinnvoller wäre, diese Flüchtlinge direkt in Westeuropa aufzunehmen. Das läge mir persönlich erst einmal viel näher. Dann wären sie wirklich in Sicherheit.

Damit öffnet man dem Aggressor Tür und Tor...

Ja, diese Konsequenz könnte man ziehen. Aber auf der anderen Seite würde man, wenn man die Schutzzonen um des Prinzips willen verteidigt, Menschen der Gefahr von Folter und Mord aussetzen. Diese Form von Politik ist mir zuwider. Ich halte da nichts vom Prinzipienreiten. Dann lieber evakuieren. Wenn Fischer vorschlägt, erst Schutzzonen schaffen und dann die Menschen umverteilen, ist das letztlich nichts anderes als die Schaffung eines ungerechten Friedens. Da habe ich mit ihm keinen Dissens. Das Papier ist an der Stelle sehr ehrlich und für bestimmte Leute innerhalb der Partei eine Ohrfeige. Denn er räumt mit der Vorstellung auf, man könne so etwas wie ein multikulturelles Bosnien mit Hilfe militärischer Gewalt aufrechterhalten. Das ist ja zum Beispiel die Position von Marieluise Beck. Und für jemand, der immer für multikulturelle Gesellschaft gestanden hat – und da zähle ich mich auch zu –, ist das sehr bitter, aber es ist so.

In Ihrem mit Kerstin Müller im Juni formulierten Positionspapier sind Sie der Meinung, daß „die gefährliche Traditionslinie der Außenpolitik der heutigen Bundesrepublik „im Streben nach einer neuen Großmachtpolitik“ läge. Hat Fischer sich nun zu einem Vertreter dieser gefürchteten deutschen Großmachtpolitik gewandelt?

Nach dem, was ich von ihm höre, weist er das mit Händen und Füßen von sich. Ich habe keinen Anlaß, daran zu zweifeln.

Zumindest den Parlamentarischen Geschäftsführer der Bündnisgrünen, Werner Schulz, müßten Sie in dieser Tradition sehen. Er schließt ja sogar eine deutsche Beteiligung nicht aus?

Nun, es gibt innerhalb der Grünen Leute, die meinen, über diese Frage eine Koalitionsfähigkeit mit dem rechtesten Flügel der CDU herstellen zu können. Ich halte das nicht für ein besonders erfolgsträchtiges Unterfangen.

Glauben Sie, daß das auch Fischers Motiv war: den Grünen eine regierungsfähige Außenpolitik zu geben?

Nein. Da muß man nur Oskar Lafontaine lesen, dann weiß man, daß Koalitionen auf der Basis der bisherigen Beschlußlage der Grünen und auf der bisherigen Beschlußlage der SPD sehr viel leichter sind. Ich rede nicht von schwarz-grünen Koalitionen. Das ist das Problem von Werner Schulz. Deswegen sage ich zu Ihrer Frage schlicht und ergreifend: nein.

Aber SPD-Chef Rudolf Scharping hat Fischers Papier als den Versuch gewertet, die Außenpolitik der Grünen „mit der SPD kompatibel zu machen...“.

Wenn ich die Positionen vergleiche, dann würde ich sagen, mit der Position, die Fischer vertritt, wird es sicher schwieriger. Bei Scharping weiß man oft nicht, was er vertritt. Wenn er aber meint, Joschka würde nun die Brücken zwischen seinen Außenpolitikern wie Verheugen und Lafontaine und den Kritikern Voigt und Klose bauen, dann tut er Joschka unrecht.

Kerstin Müller wirft Fischer vor, daß er die pazifistische Außenpolitik der Grünen umschreiben wolle.

Ich würde das anders formulieren. Wir sind und bleiben eine Partei, die in einer ganz klaren antimilitaristischen Tradition steht. Wir sind eine Partei, die der neuen sich vollziehenden Militarisierung und Renationalisierung deutscher Außenpolitik entschieden entgegentritt. Und das ist keine abstrakte Gefahr, sondern tägliche Praxis.

Wie würden Sie Pazifismus und Antimilitarismus unterscheiden?

Pazifist ist jemand, der aus tiefster Überzeugung auf keinen Fall zur Waffe greifen würde. Dieser Form von Gesinnungspazifismus haben sich die Grünen als Partei, unabhängig von Personen, immer enthalten, auch Kerstin Müller. Wir können uns nicht auf der einen Seite als pazifistische Partei verstehen und auf der anderen Seite flügelübergreifend einer Befreiungsbewegung wie der eritreischen nahestehen und sie unterstützen.

Wieso können Grüne denn mit gutem Gewissen bewaffnete Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt unterstützen und zugleich Skrupel haben, Schutzzonen, in denen unbewaffnete Menschen Zuflucht gesucht haben, militärisch zu verteidigen?

Weil der Preis, den sie dafür zahlen würden, noch mehr Tote sind. Die Antwort ist grausam, ist einfach. Ich bin nicht aus allgemeinen Prinzipien dafür, dort nicht militärisch zu intervenieren, sondern weil es schlicht und ergreifend eine Tatsache ist, daß die angebliche Sicherung der Menschenrechte, etwa in Kuwait – und das wäre ja das Modell –, mehr Menschen das Leben gekostet hat, als dort gerettet worden sind.

Das heißt, die Ablehnung einer militärischen Intervention hat nichts damit zu tun, daß Sie das Prinzip der Gewaltlosigkeit um jeden Preis aufrechterhalten wollen?

Gregor Gysi hat in seiner Kritik an Fischer gesagt, wenn es denn was nützen würde, wäre er für eine militärische Intervention. Das finde ich für jemand, der den neuen Pazifismus seiner Partei sehr demonstrativ zur Schau stellt, einen bemerkenswerten Satz. Wir haben in unseren Reihen die schärfsten Befürworter und die schärfsten Gegner einer Intervention. Ich denke, die Mehrheit der Grünen wird fürchterlich davon umgetrieben, aber auch immer wieder feststellen, daß eine militärische Intervention zu einer weiteren Eskalation des Krieges führt. Das aktuellste Beispiel ist von den Kroaten inszeniert. Völkerrechtlich haben sie kein Unrecht begangen, ihr anerkanntes Gebiet zurückzuerobern. Aber das Ergebnis ist, daß der Konflikt in die Wojwodina, in den Kosovo exportiert wird.

Was sind Ihre Vorschläge für eine politische Lösung vor Ort?

Erstens muß mit der unsinnigen Verschwendung von 340 Millionen Mark für deutsche Soldaten dort Schluß gemacht werden. Zweitens wird bis heute nicht verhindert, daß in diesem Konflikt weiter Waffen, weiter Transportmaterial und weiter Energie reingepumpt wird. Das ist unverantwortlich. Solange das geschieht, ist jede Überlegung, dort Soldaten zu stationieren, selbstmörderisch. Denn ich beliefere ja Leute, um meine eigenen Leute totschießen zu lassen. Also fordern wir ein totales Embargo, einen tatsächlichen Energieboykott, die Instandsetzung der umliegenden Länder wie zum Beispiel Albanien via Sanktionshilfefonds, damit es keinen ökonomischen Grund mehr gibt, das Embargo zu unterlaufen. Diese Forderungen sind nicht erledigt und um ein Vielfaches realistischer, als dort die Politik der selektiven Hochrüstung der Kriegsparteien zu betreiben und in diese Situation Truppen zu schicken. Das zweite ist: In der Zielvorstellung führt kein Weg daran vorbei, einen ungerechten Frieden zu organisieren.

Wie wird der Ihrer Meinung nach aussehen?

Die durch Terror, Gewalt und Vertreibung geschaffenen Fakten, die Separierung des alten multiethnischen Jugoslawiens werden sich nicht einfach rückgängig machen lassen. Die Wiederherstellung der völkerrechtlichen Grenzen durch Gewalt wird dieses Ziel eher weiter beschädigen als befördern. Also bleibt nichts anderes als der Versuch eines Gebietsaustausches zwischen den einzelnen Volksgruppen unter der Aufsicht der UN sowie der Bildung von Föderationen über die völkerrechtlichen Grenzen hinweg.

Welchen Sinn macht die Forderung nach Einhaltung des Waffenembargos, wenn die islamischen Staaten jüngst beschlossen haben, daß sie sich nicht länger daran halten wollen?

Wir hatten noch nie Probleme damit, daß dort Einheiten stationiert sind, die für eine Einhaltung des Embargos sorgen.

Das kann aber auch ein militärisches Eingreifen sein.

Das sind die berühmten – wie Ludger Volmer das in seiner Fischer-Kritik gesagt hat – zollpolizeilichen Einheiten. Ich verwende das Wort ungern, weil es eine Unehrlichkeit ist. Aber Boykottmaßnahmen – wenn man das will – setzen nicht viel Gewalt voraus. Wenn die internationale Staatengemeinschaft sich da einig wäre, wäre das kein Problem. Nur, es gibt die Einigung nicht.

In welchem Umfang sollen denn die durch Unrecht und Gewalt geschaffenen Grenzen festgelegt und international anerkannt werden?

Darauf laufen sowohl der Plan der Bonsien-Kontaktgruppe wie die jüngsten Pläne der Amerikaner hinaus. Das ist überaus bitter, das ist ungerecht für die Muslime, aber es ist in der Geschichte der UN nichts Neues. Man denke an die diversen Resolutionen etwa zu Nahost, die durch den jetzigen dortigen Friedensprozeß alle Makulatur geworden sind. Die Alternative zum ungerechten Nichtkrieg ist die Rückeroberung. Ihre Folge ist, wie die Krajina-Offensive zeigt, eine erneute gewaltsame Vertreibung und Eskalation. Das kann ich nicht akzeptieren. Das halte ich für das schlimmere von zwei Übeln.

Würden Sie die friedenspolitischen Grundlinien von 1993 in das vieldiskutierte neue Grundsatzprogramm packen?

Wenn man Grundsatzprogramme genügend allgemein macht, kann die jeder unterschreiben. Einer der Gründe, warum wir eine strategisch angelegte, das heißt auch mittelfristig auf Umsetzung orientierte Strategiedebatte brauchen und nicht neue Glaubenssätze. Ich glaube, wir müßten uns vielmehr darüber unterhalten, wie groß soll eigentlich die Bundeswehr in einem, in fünf, in zehn Jahren sein. Wir müssen uns darüber unterhalten, ob es vernünftig ist 30mal soviel Geld für die Nato auszugeben als für die Förderung der OSZE. Ist es nicht billiger beispielsweise, Sanktionshilfefonds aufzubauen? Ist es nicht klüger, unsere Kapazitäten im Bereich der humanitären Hilfe so umzubauen, daß sie unabhängig vom Militär existieren können? Was ist mit der Vorstellung einer Bundesrepublik Deutschland als Zivildienstleistender der internationalen Gemeinschaft? Dafür brauchen wir eine Debatte. Wir brauchen keine um allgemeine Grundsätze. Interview: Karin Nink