■ Vor einer Wende der türkischen Kurdistanpolitik?
: Machtkalkül und Humanität

Das Feld in Kurdistan ist den Generälen überlassen. Auf dem Feld der feinen Politik weiden dagegen die Heuchler. Die türkische Ministerpräsidentin, die die politische Verantwortung für den dreckigen Krieg in den kurdischen Regionen trägt, macht dem verblüfften Westen ein Demokratisierungsversprechen nach dem anderen.

Ihr politischer Gefährte Yalim Erez, Chef der Handels- und Börsenkammer TOBB, läßt eine Studie publizieren, die eine radikale Abkehr von der bisherigen Kurdenpolitik fordert, damit die Grundfesten des türkischen Staates erhalten bleiben. Gebt den Kurden Rechte, damit der Krieg beendet wird und Ruhe und Ordnung einkehren. Sind die Demokratisierungsversprechen und die Studie der Wirtschaftskammer ernstzunehmen? Ja steht gar die Wende der türkischen Kurdistanpolitik, die im Westen mit Kopfschütteln quittiert wird, bevor? Haben die 20.000 Toten, die der Krieg in den kurdischen Provinzen forderte und das Elend von Millionen vertriebenen kurdischen Bauern die Regierenden zur Besinnung gebracht? Wollen sie aus dem wahnsinnigen Zyklus der Gewalt aussteigen?

Keineswegs. Es ist schlicht das machtpolitische Kalkül, warum heftig innerhalb des türkischen Staatsapparates um die richtige Kurdistanpolitik gestritten wird. Die Träume der Türkei, zur regionalen Großmacht aufzusteigen, sind nicht ausgeträumt. Das Öl der Konzerne aus Zentralasien und dem Kaukasus soll über türkische Häfen vermarktet werden. Doch wie soll man eine Pipeline quer durch ein von Guerilleros durchkämmtes Kurdistan legen? Also Frieden mit den Kurden. Freundschaft mit Armenien, wenn das Öl über Armenien in die Türkei fließen soll. Könnte nicht gar die heimliche Vision des verstorbenen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal von einer türkisch-kurdischen Föderation, die die Ölquellen Kerkuk und Mossuls kontrolliert, Wirklichkeit werden? Bekanntermaßen ist ja Saddam Hussein den Amerikanern nicht geheuer, während die Türkei angesehener Bündnispartner ist.

All das sind Gesichtspunkte, die bei der Formulierung der Kurdistanpolitik durch die Staatsspitze beachtet werden müssen. Mit Humanität hat das wenig zu tun. Während Intellektuelle, die freie öffentliche Diskussion fordern, um einen demokratischen Frieden in Kurdistan zu finden, verfolgt werden, führen Teile des türkischen Staatsapparates vielleicht klammheimlich Gespräche mit der PKK. Ömer Erzeren, Istanbul