Wetten, daß?

■ Wolfgang Hegewald aus Dresden liest aus „Der Saalkandidat“ Tatort: Bremerhaven seine Novelle in der Seestadt angesiedelt

Wetten, daß Sie Bremerhaven vielleicht mit Segelschiffen und Räucherfisch in Verbindung bringen, nicht aber mit Literatur? Aber das kann sich ändern. Besonders nach der „Wetten daß“-Show, die der Autor Wolfgang Hegewald seinen „Saalkandidaten“ in der „Nordseestadt B.“ erleben läßt. In der 1993/94 geschriebenen Novelle avanciert Bremerhaven nicht nur zum literarischen Tatort; eine Lesung am Ort des Geschehens ist naheliegend und findet auch statt: heute, um 19.30 Uhr, im Pferdestall in der Gartenstraße.

Zentrum des Geschehens im Roman: die Stadthalle. An diesen Ort westdeutscher Unterhaltungskultur zieht es den ehemaligen Mitarbeiter einer sich auflösenden Behörde, wie es heißt. Siegmund Wenz reist mit einem letzten Auftrag der „Akademie“, wie er den Stasi nennt, und einem attraktiven Bündel Geld zur Wett-Show. Hier entdeckt er plötzlich im grellen Licht der Scheinwerfer den Kanditaten Roland Hector, in dem er ein altes Opfer ausmacht. Er nutzt die Gunst der Stunde, um endlich aus seinen nach der Ausreise aus der DDR mehr oder weniger verpfuschten Leben doch noch Profit zu schlagen, und macht einen atemberaubenden Vorschlag: Wetten, daß sich hier in diesem Saal in der Nordseestadt B. im Publikum mindestens zehn ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit befinden? Angesichts der Tatsache, daß jeder dritte DDR-Bürger – auf Täter- oder Opferseite – mit der Stasi zu tun hatte keine unwahrscheinliche Wette in der Nachwendezeit. Die zehn IM werde er nun, nur mit Hilfe seines ausgeprägten Geruchssinns, in der Menge aufspüren.

Hegewald gelingt mit dem „Saalkandidaten“ die Analyse eines aktuellen Phänomens: Was medienwirksam ist, wird ausgeschlachtet. Ostdeutsche Vergangenheitsbewältigung auf westdeutsche Art, diagnostiziert Wolfgang Hegewald im wiedervereinigten Deutschland. Stimmen die Einschaltquoten, gibt es (Sende)platz auch für individuelle moralische Implikationen im Opfer/Täter-Verhältnis. Stimmen sie nicht mehr, geht die Öffentlichkeit zur Tagesordnung über.

Hegewald, in Dresden geboren, veröffentlicht beim Leipziger Gustav Kiepenheuer-Verlag und steht nach der Lesung zur Diskussion zur Verfügung. Hegewald wird von Kiepenheuer-Lektor Thorsten Ahrend begleitet, der Auskunft gibt über die gegenwärtigen Verwerfungen in der Verlagslandschaft der Neuen Länder.

Susanne Raubold

Lesung mit Wolfgang Hegewald, heute, 19.30 Uhr, Bremerhaven, Pferdestall in der Gartenstraße.