Vom grünen Tisch in die Sonderschule

■ Trotz positiven Gutachtens stuft Schulbehörde Jungen als geistig behindert ein

Timothy H. aus Kreuzberg hat „Zwangsferien“. Während alle anderen Berliner Kids schon längst wieder fleißig Vokabeln, Rechtschreiben oder Mathe lernen, wartet der 13jährige, lernbehinderte Junge hierfür auf grünes Licht vom Verwaltungsgericht: Die Eltern haben Klage eingereicht, um seine Versetzung auf die Gesamtschule zu erreichen. Nun soll das Gericht per einstweiliger Anordnung entscheiden, ob Timothy trotz der Ablehnung der Senatsschulverwaltung die dritte Gesamtschule Kreuzberg besuchen kann.

Die Schulverwaltung hält Timothy für geistig behindert. Deshalb lehnte sie den Schulversuch an der Gesamtschule ab und wies ihm einen Platz an einer Sonderschule zu. Streitpunkt ist ein Gutachten des Förderausschusses, das von den einzelnen Parteien unterschiedlich interpretiert wird. Obwohl in dem Gutachten mit keinem Wort eine geistige Behinderung erwähnt wird und man sich dort ausdrücklich für die dritte Gesamtschule Kreuzberg als weiterführende Schule für Timothy ausspricht, kommt die Senatschulverwaltung zu dem Schluß: Timothy ist geistig behindert. Und das, ohne daß Behördenvertreter mit dem Jungen bisher ein Wort gewechselt haben.

Die Zuweisung an eine Sonderschule sei damit einfach vorgegeben, erklärt der Sprecher der Senatsschulverwaltung, Andreas Moegelin. Denn Integration von behinderten und nicht behinderten Kindern sei – laut Schulverfassungsgesetz – lediglich in der Grundschule die Regel. Für die Integration an Oberschulen gelte ein landesweiter Schulversuch. Davon ausgeschlossen seien aber geistig behinderte Kinder.

Wie die Schulverwaltung jedoch dazu kommt, Timothy als geistig behindert zu betrachten, ist für all diejenigen, die den Jungen kennen, unverständlich: Nach sechs Grundschuljahren an einer Integrationsschule in Kreuzberg stand auch für den lernbehinderten Timothy zu Beginn des neuen Schuljahres der Wechsel in die Sekundarstufe I, sprich: an eine Oberschule an.

Der Förderausschuß – ein Gremium aus Sonderpädagogen, Psychologen, Betreuern, Lehrern und dem Schulleiter – der Grundschule empfahl den Wechsel auf die dritte Gesamtschule Kreuzberg. Nach diesem Gutachten seien in dieser Schule die Rahmenbedingungen erfüllt, die Timothy für seine persönliche und schulische Entwicklung brauche.

Doch eine Woche vor Schulbeginn flatterte Timothys Eltern der Ablehnungsbescheid ins Haus. Die Senatsschulverwaltung teilte mit, daß Timothy nicht – wie vorgesehen – an die dritte Gesamtschule in Kreuzberg wechseln könne, sondern für ihn eine Sonderschule für Lernbehinderte besser sei. Die Ablehnung eine Woche vor Schulbeginn zu verschicken sei „ein Skandal“, schimpft die Mutter. Widerspruchsverfahren, Prozeß, all dies verzögere den Schulbeginn, empört sich die Familie. Und außerdem sei es eine Katastrophe, den Jungen jetzt in der siebten Klasse auf eine Sonderschule zu schicken, sagt die Mutter. Timothy sei sehr selbständig. Er könne sich allein in der Stadt orientieren, fahre U-Bahn und gehe einkaufen und könne prima mit dem Computer arbeiten. Das bestätige auch das Gutachten des Förderausschusses. Welche Bedeutung habe denn ein Förderausschuß, wenn seine Gutachten und Empfehlungen für die Senatsschulverwaltung nur Makulatur seien?

Die Eltern hoffen nun auf eine Kompromißlösung: Man könne doch, wie es bei jedem anderen Schüler üblich sei, für Timothy ein Probehalbjahr ansetzen und danach entscheiden, ob er auf der Schule bleiben kann oder auf eine Sonderschule muß. Damit aber Timothy endlich wie alle anderen Kinder auch zur Schule gehen kann, muß jetzt das Verwaltungsgericht entscheiden, wie das Gutachten des Förderausschusses zu interpretieren ist. Michaela Eck