: Deutsche Klimapolitik als Papierstapel
Zwar beschwört die Bundesregierung wortreich ihr Engagement für die Minderung der Kohlendioxidemissionen. Tatsächlich aber wurden in den letzten Jahren die wirkungsvollen Maßnahmen immer weiter verschleppt ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Trotz großer Worte des Kanzlers auf der Berliner Klimakonferenz: Der Kohlendioxidausstoß steigt im Westen der Republik ständig. 1994 kamen 744 Millionen Tonnen CO2 aus Schornsteinen und Auspuffrohren der westlichen Bundesländer. Ein Jahr zuvor war es noch eine Million Tonnen weniger gewesen. Nur die nach wie vor positive Bilanz der Neuen Bundesländer, wo im letzten Jahr elf Millionen Tonnen weniger als 1993 in die Luft geblasen wurden, rettet die Bundesregierung vor dem peinlichen Eingeständnis, daß sie bei der Begrenzung der Treibhausgase gescheitert ist.
Immer wieder weist Bundesumweltministerin Angela Merkel auf einen 109-Punkte-Katalog hin, mit dem sie das Problem zu lösen gedenkt. Darin vermerkt sind so unterschiedliche Maßnahmen wie die Novellierung der Honorarordnung für Architekten und die Absicht, auf EU-Ebene eine Flugbenzinsteuer einzuführen. Auch die Plutoniumforschung in Garching wird als CO2-Minderungsmaßnahme angeführt. Der Bundesverkehrswegeplan gilt ebenfalls als Umweltsegen, weil er nach Lesart der Regierung die Bahn gegenüber den Straßennutzern bevorzugt.
„Was bisher geschah, reicht nicht aus, um das Minderungsziel von 25 Prozent bis zum Jahr 2005 zu erreichen. Das können selbst wir ungestraft sagen“, meint Wolf-Dieter Glatzel, Leiter der Energieabteilung im Umweltbundesamt (UBA). Denn die Maßnahmen mit der größtmöglichen Wirkung stehen bisher nur auf dem Papier.
Das Energiewirtschaftsgesetz, das die Struktur der Stromversorgung regelt, harrt seit mehreren Jahren seiner Novellierung. So gilt bis heute die Regelung von 1935, die den großen Energiekonzernen Monopolgebiete zugesteht. RWE, die Bayernwerke und Preussen Elektra drängen seit Beginn der Diskussion darauf, daß sich daran nichts ändert – und bleiben bei ihrer großflächigen Versorgungskonzepten mit gigantischen Strommeilern und langen Transportwegen. Energiesparende Techniken wie Kraft-Wärme-Kopplung, Fernwärme und Abwärmenutzung kommen in Deutschland deshalb bis heute nur gelegentlich zum Zuge. „Während die Bundesregierung für die erneuerbaren Energien durchaus was tut, werden die CO2-Einsparpotentiale dieser bereits ausgereiften Technologien grausam unterschätzt“, urteilt Glatzel.
Auch in puncto Energiesteuer hat sich in Deutschland noch nichts bewegt. Erst vor ein paar Tagen wurde der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Klaus Lippold von seinen Parteifreunden zurückgepfiffen, als er eine Abschaffung der Kfz-Steuer zugunsten einer höheren Benzinabgabe forderte. Ein Steuersystem, das sich an der Umweltverträglichkeit der einzelnen Energieträger Öl, Gas und Kohle orientiert, steht sowieso noch in weiter Ferne. Statt sich an der Klimarelevanz politischer Entscheidungen zu orientieren, halten viele Politiker krampfhaft an Althergebrachtem fest. So versucht die SPD in Nordrhein-Westfalen, nach wie vor den Braunkohletagebau in Garzweiler II durchzuboxen – ein Unterfangen, das in einem internen Papier des UBA als garantiertes Aus für die deutschen Klimaziele bezeichnet wird.
Auch die Anfang des Jahres in Kraft getretene Wärmeschutzverordnung, von der sich Experten ursprünglich riesige CO2-Einsparungen erhofft hatten, ist zu einer Klimarettungsmaßnahme auf dem Papier verkümmert. Zwar schreibt sie für Neubauten einen 30 Prozent niedrigeren Energiebedarf vor. Doch die 99 Prozent Altbauten müssen nicht isoliert werden. So verhindert das Gesetz noch den Anstieg von CO2-Emissionen – eine Minderung ist so nicht zu erreichen. Hinzu kommt, daß beispielsweise in Bayern fast nie geprüft wird, ob der Bauherr die versprochene Wärmedämmung auch einbaut.
Auch die Wärmenutzungsverordnung, mit der das entstehen von 90 Millionen Tonnen CO2 im Jahr verhindert werden sollten, verkam zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Industrie. Wollte die Bundesregierung Betriebe ursprünglich dazu zwingen, heiße Luft nicht einfach aus dem Schornstein zu jagen, sondern für den Produktionsprozeß einzusetzen, so vertraut sie jetzt auf die Zusagen der Industrie. „Die Formulierungen sind absolut schwammig und beliebig interpretierbar“, beschreibt Nikolaus Richter vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie das Papier. Er vermutet, daß in ein paar Jahren die Wirkungslosigkeit der Zusagen deutlich wird und doch noch Auflagen beschlossen werden müssen. „Dann haben wir ein paar wertvolle Jahre verloren.“
Aber nicht nur die Politiker versagen. Auch die Bundesbürger haben einen großen Anteil an der traurigen Klimabilanz: Mit 40 Millionen Autos, immer mehr Klimaanlagen, Stand-by-Geräten und Reisen per Flugzeug heizen sie das Treibhaus an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen