Im vergangenen Jahr war Erich Priebke in Argentinien aufgespürt worden. 1944 war er in Italien an einem Massaker beteiligt. Ein argentinisches Bundesgericht lehnte jetzt seine Auslieferung nach Italien ab - zur Freude mancher in Italien.

Im vergangenen Jahr war Erich Priebke in Argentinien aufgespürt worden. 1944 war er in Italien an einem Massaker beteiligt. Ein argentinisches Bundesgericht lehnte jetzt seine Auslieferung nach Italien ab – zur Freude mancher in Italien.

Don Erico Priebke, SS-Hauptmann

Im Grunde hatten alle es kommen sehen, und wohl auch darum hagelt es empörte Kommentare: Der wichtigste Mitarbeiter des Nazikriegsverbrechers Herbert Kappler, Erich Priebke, wird nach dem am Mittwoch verkündeten Spruch eines argentinischen Bundesgerichts nun doch nicht nach Italien ausgeliefert, weil die ihm vorgehaltenen Straftaten verjährt seien. Das Urteil hat einhelligen Protest hervorgerufen: Rom wollte den ehemaligen SS-Mann, der im Mai 1994 im argentinischen Kurort San Carlos de Bariloche entdeckt und verhaftet worden war, als Mittäter beim Massaker vom 24. März 1944 vor Gericht stellen. Damals waren 335 Zivilisten in den adreatinischen Höhlen bei Rom erschossen worden.

Dabei geht es nicht um die Tatsache von Geiseltötungen an sich – nach dem Kriegsrecht dürfen für jeden aus dem Hinterhalt erschossenen Besatzungsoldaten bis zu zehn Zivilisten hingerichtet werden; Kappler aber hatte fünf zuviel umbringen lassen, „korrekt“ wäre es gewesen, für die 33 von Partisanen getöteten Soldaten 330 Geiseln zu erschießen.

Priebke seinerseits bestreitet, an der Geiselauswahl und der Festlegung der Zahl beteiligt gewesen zu sein. Er habe zwar einen Menschen erschossen – aber nur auf Befehl seines Vorgesetzten –, das aber sein Leben lang bedauert.

Von einer „unannehmbaren Entscheidung“ spricht Roms Oberbürgermeister Francesco Rutelli. Der Referent für Auslieferungsersuchen im Justizministerium behauptet, er habe sich „alles andere als diesen Bescheid“ erwartet. Auch Außenministerin Susanna Agnelli will „diese für unsere Justiz entwürdigende Wende“ nicht hinnehmen.

Und dennoch: So ganz überzeugend klingt das offizielle Entsetzen nicht. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten viele Juristen im römischen Justizpalast längst, welche Unannehmlichkeiten ein spektakulärer Prozeß gegen Priebke hätte bereiten können: Einerseits scheinen die Beweise tatsächlich schwierig beizubringen, weil die meisten Zeugen bereits tot sind. Zum anderen aber könnte sich Priebke zu einem Bumerang verkehren – dann nämlich, wenn er, wie sein Sohn in Argentinien italienische Reporter hat wissen lassen, „mal ein paar Sätze dazu sagt, wie denn die ehemaligen Nazis seinerzeit nach Argentinien gelangt sind“ – ein deutlicher Hinweis auf die immer wieder hochgekommenen Gerüchte, wie sehr beispielsweise vatikanische Kreise, aber auch hohe, noch heute lebende Politiker und Würdenträger, 1945/46 an der Durchschleusung deutscher Nazis nach Südamerika beteiligt waren. Der Verdacht, das Auslieferungsansuchen sei also gar nicht ernsthaft gestellt worden, nährt sich aus mehreren Aspekten: Einmal mußten die italienischen Behörden wissen, daß Beihilfe zum Mord in jedem Falle bereits verjährt war – lediglich eine Anklage wegen „Gemetzels“ wäre nicht verjährt, doch dafür hätten dem Ansuchen beweiskräftige Dokumente und Zeugenaussagen beigelegt werden müssen.

Das wäre auch schwer gewesen – Kappler selbst war seinerzeit wegen mehrfachen Mordes und nicht wegen Gemetzels verurteilt worden. Priebke selbst sah sogar Anlaß, den 1994 amtierenden Justizminister, Giovanni Conso, nach Durchsicht des Auslieferungsbegehrens herzlich zu verspotten: „Wie üblich, wenn derlei aus Italien kommt: mangel- und lückenhaft.“ Zum anderen hatten die italienischen Strafermittler schon früh versucht, die Sache nach Deutschland abzuschieben – wo aber die Aussichten, den Mann zu bekommen, noch vager sind, schließlich wurden die ihm zur Last gelegten Verbrechen in Italien begangen.

Immerhin gibt diese Denkrichtung einigen Medien nun eine neue Stoßrichtung: „Im Grunde ist das sowieso offenbar wieder eine Sache unter Deutschen“, urteilt maliziös La Repubblica. Auch der Anwalt der italienischen Botschaft bereitet nun das Bad vor, in dem er seine Hände in Unschuld waschen kann: „Wenn Priebke nicht, wie zu befürchten steht, nach Chile ausbüchsen soll, muß er zumindest im Hausarrest gehalten werden; das aber können nur die Deutschen veranlassen, indem sie irgendein Auslieferungsersuchen stellen.“ Derlei war aber bereits vor vierzehn Tagen zurückgewiesen worden.

So gehören die Hinterbliebenen und Freunde der Ermordeten derzeit wohl in Italien zu den wenigen, denen man wirkliches Entsetzen abnehmen kann. Nicola Fani, Sohn eines der Ermordeten und nun Vorsitzender der israelitischen Gemeinde in Rom, zeigt sich „tief verwundet darüber, daß man nicht einmal mehr einen Prozeß machen konnte, um die Schuld oder Unschuld eines der höchsten Repräsentaten der Nazibesatzer herauszufinden“, und die Leiterin des „Museums des Widerstandes gegen die Nazisten“, Elvira Sabatini Paladini, sieht „eben erneut mehr den Willen, diese Verbrechen begraben zu halten, denn die Wahrheit wirklich ans Licht zu bekommen“. Frau Paladini wäre in einem Prozeß gegen Priebke eine wichtige Zeugin gewesen: Ihr Mann gehörte zu den damals Gefangengesetzten und hatte viele Details über die Rolle Priebkes bei der Auswahl der Geiseln berichtet. Werner Raith, Rom