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Wand und BodenZu welchem Körperteil gehört die Haut?

■ Kunst in Berlin jetzt: Spurlos, In and Out of Touch, Schwarzweiss

Fotos mit Sandpapier zu bearbeiten scheint eine ebenso rabiate wie abwegige Idee zu sein, wenn man sich vorstellt, daß letztlich die Zerstörung des bearbeiteten Bildträgers droht. Jo Stockham, Künstlerin aus London, die tatsächlich Fotos mit Sandpapier schleift, muß offensichtlich ein sehr feines benutzen, denn die Operation geht spurlos an den Bildern vorüber. Sie erscheinen etwas matt, mehr ist nicht zu bemerken. Ob diese folgenlose Methode der Ausstellung in der Galerie im Parkhaus in Treptow den Titel „spurlos“ gab?

Neben Jo Stockham zeigt Frances Coleman ihre „tunnelbaneseries“, formal stark reduzierte Papierarbeiten, und die Fensterinstallation „whorlbane“: Zwischen den Doppelfenstern des Galerieraums liegen schwarze Briketts, die aber nicht aus Kohle, sondern Wachs sind. Durch die äußeren Fenster, die mit pergamentartigen Papier verklebt sind, schimmert das Licht wie durch Milchglas, und oszillierendes Neonlicht – so es funktioniert – soll das Ganze ins Ungefähre auflösen. Auf großen Bahnen des gleichen Materials an den Wänden sind U- oder V-förmige, manchmal auch zum Oval geschlossene, Tuschzeichnungen zu sehen. Auf zweien ist eine kleine Wachsskulptur in Form eines Kreuzes aufgebracht. Das Kreuz, so könnte man die umgebende Schwärze interpretieren, scheint auch in der Kunst starke Schlagschatten zu werfen.

Jo Stockhams Vorliebe gehört dem Motiv des Auges. Sie fotografiert es als reales Objekt, aber auch als schon reproduziertes, gezeichnetes Ding. Das Kreisformat, in dem sie ihre Fotos gemeinsam mit schwarzen Klebestreifenlinien und roten Skalen zu quasi statistischen Grafiken montiert, verdoppelt die Augenform. Die anderen Strukturen, die auf den Fotokreisen zu erkennen sind, scheinen aus wissenschaftlichen Atlanten verschiedenster Art zu stammen. Vor allem aber interessiert sie die menschliche Haut. Die ist nun überhaupt nicht spurenlos; daher versucht man unwillkürlich anhand der Runzeln und Falten herauszukriegen, zu welchem Körperteil die Haut gehören könnte. Anhand der Lebenslinie entsteht eine der „Denklinien“, wie eine Wand- Collage heißt.

Bis 8. 9., Mi.–Sa. 15–19 Uhr, Puschkinallee 5

Die fotografische Reproduktion der Haut ist auch bei Jaime Pitarch der Träger der Botschaft. Er hat ein metallenes Minimodellhaus und eine Geldmünze auf eine Platte gestellt, die mit der Fotohaut bezogenen ist. So ruhen sie in der offenen Hand. „In and out of touch“ heißt die Gruppenausstellung junger Künstler aus Budapest, London und Berlin, die die Kuratorinnen Mariele Neudecker und Barbara Thumm im Haus Ungarn organisiert haben. Soweit „to be in touch“ bedeutet, mit dem Zeitgeist auf du und du zu sein, sind die Künstler „in touch“; „out of touch“ ist nur der oder die PusterIn, deren vergebliche Anstrengung einer elektrischen Glühbirne in Kerzenform gilt. Da aber auch das Pusten in Roza El-Hassans Installation nur eine Tonspur-Reproduktion ist, kann man sich sein Sisyphos-Mitleid sparen.

Cornelia Schmidt-Bleeks „Fuzzy“-Video zeigt die Künstlerin bis zu ihrem Mund, der traurige Sätze über eine traurige Familie absondert, in der Mutter, Vater oder Schwester aus allen möglichen Gründen ziemlich down sind. Eine Männerstimme hält gegen diese Litanei und will eine ganz andere Geschichte erzählen. Die Künstlerin aber wechselt öfter das T-Shirt und hat damit eine zusätzliche Stimme.

Glänzt ihre Video-Installation mit subtilem, bösen Witz, so die von Melanie Jackson mit einer hübschen architektonischen Ästhetik; zu viel formale Eleganz dient aber dem Lügenmärchen einer Kommunikation zwischen Videowelt und Lebenswelt nicht, das Jackson in Szene setzt. Trotzdem macht das Vexierspiel von „In and out of touch“, das die Ausstellung zeigt, Spaß. Attila Csörgös „Maelström Projekt“ – ein großer Blechtopf, in dem eine honigfarbene, zähe Flüssigkeit schleudert – verführt dazu, die Hand hineinzustecken. Angeschmiert, möchte man sagen, denn die Masse ist Motoröl. So macht man sich die Finger schmutzig.

Bis 10. 9., Mo.–Fr. 10–18 Uhr, Karl-Liebknecht-Straße 9

„Schwarzweiss II“ präsentiert sich die künstlerische Schweiz in der Galerie Marianne Grob. Was nichts anderes meint, als eine Ausstellung von Zeichnungen. Die vierzehn vertretenen Künstler präsentieren also keine Entweder-oder-Positionen, im Gegenteil. Der Reichtum an Ausdrucksmöglichkeiten auf dem schlichten weißen Blatt Papier überrascht. Irène Wydlers „Ungebaute Brücke“ oder ihr „großer Lärm“ sind klassische Architekturphantasien, die eine Art monströser, surrealistischer Wasserräder imaginieren, denen aber ein reportagehafter Illustrationsstil Bodenhaftung gibt. Gegen die Fülle der Schraffuren und Linien bei Wydler steht die Leere in Barbara C. Tucholskis Blättern. Sie kennt nur das Allernötigste an Strichen, das es braucht, eine Szene zu entwerfen. Ihre Arbeiten erinnern an Kinderzeichnungen, und Kinder auf Fahrrädern sind tatsächlich auch die Protagonisten auf den seltsam bekannt erscheinenden, kargen Plätzen und Straßen.

Christoph Rutimann pendelt seine Zeichnungen aus. Das Ergebnis des Zusammenstoßes von Gravitation und dem Zug der Hand ist keine esoterische Karte von Gesundheit und Gefahr, sondern ein anziehendes, schwungvolles Gewirr hauchdünner und japanisch-kalligraphisch fetter Linien und Kreise. Spannungsvoll ausbalanciert, bei starker puristischer Reduktion, sind die wenigen Querlinien, die August Zimmermann auf sein gelblich getöntes Papier setzt. Wie Bohrgänge von Holzkäfern mäandern seine Linien dahin. Die Kontraposition findet sich in Anna B. Wiesendangers wild wuchernden Maschinenräumen, in denen Kabeltrommeln, Winden und Schaltpulte für markante Verdichtungen in der All-over-Struktur sorgen. „Schwarzweiss II“ ist eine ausgesprochen farbige Ausstellung.

Bis 2. 9., Mi.–Fr. 13–18, Sa. 16–18 Uhr, Finissage 30. 8. ab 19 Uhr, Blücherstraße 42 Brigitte Werneburg

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