Wo ist die Reise weiblich?

■ Gleich zwei Publikationen beschäftigen sich mit dem Thema Tourismusforschung und „Gender“-Frage. Die Entdeckung des Geschlechts als neue Qualität im Tourismus?

Diese Frau kennen wir. Sie ist wunderbar flexibel, mal durchgestylte Reisende, perfekte Silhouette für Bikini-Mode, mal anmutig lächelnd zum Empfang, in Afrika exotische Früchte anbietend, in der Karibik unweigerlich ein Tablett mit Drinks. Es ist die Trägerin der touristischen Werbung, mit Vorliebe weiblich, Wunschbild oder inkarnierte Gastfreundschaft.

In jüngster Zeit haben Untersuchungen die Bedeutung des Reisens für Frauen in Geschichte und Gegenwart differenzierter beleuchtet. So wurden die Grenzen der Geschlechterrollen beim Reisen gegenüber anderen Variablen wie der ethnischen und sozialen Herkunft aufgezeigt.

Wissenschaftstheoretische Erkenntnisse aus der „Gender“- Debatte wurden bislang allerdings wenig in Untersuchungen zum Tourismus einbezogen. „Gender“ – oft als soziales Geschlecht übersetzt – liefert jedoch wichtige Grundlagen für eine neue Herangehensweise an die Tourismusproblematik.

Höchste Zeit also, daß gleich zwei neue Publikationen aus dem englischsprachigen Raum ausschließlich der „Gender“-Frage im Tourismus nachgehen. Beide Publikationen präsentieren sich formal ähnlich als Sammelbände von Fallbeispielen.

Obwohl Vivian Kinnard und Derek Hall – beide unterrichten Geographie und Entwicklung an der Universität von Sunderland (England) – bereits im Titel ihre Arbeit als „Gender analysis“ deklarieren, unterlassen sie es kurioserweise, in der Einleitung ihren „Gender“-Begriff näher zu definieren. So steht etwa der Aufsatz über die Konstruktion einer touristischen Landschaft in Schottland entlang von Schlachtfeldern, Nationalhelden und anderen Eckpfeilern einer männerspezifischen Geschichtsbetrachtung recht vereinsamt und ohne weitere Auswertung für künftige „Gender“-Studien. Dabei wirft er doch zuhauf spannende Fragestellungen auf, ob und wie z.B. Frauen solch männerfaçonnierte Tourismuspfade bereisen. Vielversprechende Ansätze ergeben sich jedoch aus ihren Ausführungen, die den Tourismus durchaus kritisch als Entwicklungsperspektive beleuchten und sehr grundsätzliche Fragen stellen: nach Trennung von Arbeit und Freizeit, nach Arbeitsbegriff überhaupt, nach internationaler und geschlechtsspezfischer Arbeitsteilung, nach Macht und Kontrolle.

Doch erst die Fallstudien über die konkrete Arbeitssituation von Frauen in Cornwall (Hennessy) und in Irland (Breathnach/Henry/ Drea/O'Flaherty) bringen notwendige theoretische Ergänzungen. In einer konsequent durchgezogenen wirtschaftspolitischen Perspektive zeigen sie auf, wie Tourismus in strukturschwachen Regionen gefördert wird und wie der Spielraum für Frauen auf dem bereits weitgehend flexibilisierten touristischen Arbeitsmarkt heute aussieht. Aus solch sorgfältigen Analysen, die einen gewissen Seltenheitswert in der Tourismusforschung aufweisen, lassen sich auch weitere Arbeitshypothesen über die Stellung von Frauen (und Männern) im und zum Tourismus in der sich globalisierenden Wirtschaft ableiten. Dieser ersten Publikation über „Gender“-Fragen im Tourismus kommt das Verdienst zu, neue Forschungsperspektiven zu eröffnen.

Mit diesen beschäftigt sich dann Margaret Byrne Swaine, Anthropologin an der University of California und Herausgeberin des Sonderbandes zu „Gender“ im Tourismus der renommierten „Annals of Tourism Research“. Die bereits vorliegende Publikation von Kinnard/Hall gibt ihr die Gelegenheit, anhand einer detaillierten kritischen Begutachtung klare Perspektiven zu entwerfen, wie der „Gender“-Ansatz zu einem besseren Verständnis des Tourismus führen kann.

Auf höchst originelle Weise prangert sie darin die Abwesenheit des „Körpers“ in der Tourismusforschung an. Abgestützt auf einen klar umrissenen „Gender“-Begriff, baut sie einen Konzeptrahmen auf, der die zwölf folgenden Fallstudien kohärent verknüpft und gleichzeitig verschiedene Lesarten zuläßt. So können touristische Aktivitäten vorab auf geschlechtsspezifische Auswirkungen überprüft werden, z.B. in der sehr aufschlußreichen Untersuchung des Agrotourismus in zwei von der EU-Landwirtschaftspolitik gebeutelten Regionen Spaniens (Garcia-Ramón/Canoves/Valdovinos). Andererseits führt die geschlechtsspezifische Analyse der touristischen Nachfrage oder Vermarktung zu neuen differenzierten Ergebnissen wie etwa im Fall des „Romanze-Tourismus“ von westlichen Frauen nach Jamaika. Dort stellt sich das sozioökonomische Gefälle zwischen Besucherinnen und Besuchten klar als bedeutsamer heraus als die konventionelle männliche Vormachtstellung gegenüber Frauen.

Doch letztlich gibt auch der Sonderband der „Annals“ nur unzureichend Aufschluß darüber, weshalb die Tourismusforschung gerade jetzt die „Gender“-Frage zu entdecken scheint. Folgt sie dabei einfach – mit einem gewissen Verzug – einem allgemeinen „Gender“-Trend in den Wissenschaften und in der Entwicklungsdebatte? Frauen haben entschieden Hochkonjunktur im Tourismus. Die – späte – Anerkennung mag freuen. Doch bereits haben Buchverlage und Reiseveranstalter die „reisende“ Frau als Marktlücke entdeckt. Und die Tourismusindustrie hat längst unter Beweis gestellt, wie profitabel Frauen(-bilder) zu vermarkten sind und wie patent sich die Gastgeberinnenrolle ausdehnen läßt, wie flexibilisierbar besonders auch die weiblichen Arbeitskräfte sind. Angesichts der laufenden Umwälzungen und Restrukturierungen im internationalen Tourismus dürften gerade auch diese „Qualitäten“ äußerst gefragt sein. Das benennen verschiedene Fallstudien in beiden Publikationen unmißverständlich. Da bleibt doch ein gewisser Erklärungsbedarf, wenn nun plötzlich von allen Seiten die Frauen so unvermutet an die Vorderfront gerückt werden. Christine Plüss und Marianne Frei

– Vivian Kinnard, Derek Hall: „Tourism – A Gender Analysis“; Verlag: John Wiley & Sons, Chichester 1994, 218 Seiten, £ 39.95

– „Annals of Tourism Research: Special Issue on Gender in Tourism“, hrsg. von Margaret Byrne Swain; Jg. 22, Nr. 2/1995, Verlag: Elsevier Science Ltd & J. Jafari